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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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Reihenfolge der Satzteile). Der angehängte Kasus ’a spielt für die Kopie der Struktur keine Rolle. Gestärkt wird dieses Muster vom gleichen Modell, wenn es für ORT auftritt:
    â€“ Görüşeceğimiz Alexanderplatz’da/Kreuzberg’de, Kottbusser Damm’da. ‹Wir sehen uns _ Alexanderplatz …›.
    Denn auch ORT kommt ohne Präposition aus, weil der Inhalt ORT schon vom angehängten - de/-da bezeichnet wird.
    Das Arabische ist keine Turksprache, ist nicht agglutinierend und es hat viele Präpositionen. Und trotzdem ist es möglich, Angaben zu ORT oder RICHTUNG auch ohne Präpositionen zu machen – wohl weil dies eine alte orientalische Ausdrucksweise ist (s.o). Die Beispiele sind von dieser Art:
    â€“ min faḍlik dallinÄ« hādhat ‘unwān ! ‹Bitte fahren Sie diese Adresse › = ‹Bitte fahren Sie zu dieser Adresse !›
    Dies bestätigt auch das Persische:
    RICHTUNG: fardō _ Tehrān berawam. ‹Morgen fahre ich nach Teheran ›.
    ORT: Agā Mumtāzi _ Shirāz zendegi konad. ‹Herr Mumtazi lebt in Shiraz ›.
    Das Modell wir gehen _ Görlitzer Park ist also eine orientalische Kopie, die zufällig mit dem Pidgin-Modell zusammenfällt.
Der Ausfall des Artikels: das Modell Isch kauf _ Auto
    Das Weglassen des deutschen Artikels ist ein zentrales Merkmal des Kiezdeutsch und ebenfalls in vielen Pidgins anzutreffen. Wir haben eine überaus reiche Fundgrube, und es ist möglich, dass der Wegfall des Artikels ebenfalls so etwas ist wie ein strukturelles Erkennungszeichen dieses Jugendslangs mit der Botschaft: ‹ wir sprechen in der Gruppe mit voller Absicht Deutsch ohne korrekten Artikel ›. Ein grammatisch-korrekter Gebrauch des Artikels ist gar nicht vorgesehen, ja nicht einmal erwünscht – er mag sogar in der Gruppe kontraproduktiv wirken, wäre also ‹falsches Kiezdeutsch›. Obendrein spart dieses Modell auch gleich den Kasus mit ein. Dies sind die Beispiele (Wiese 2012):
    Hast du _ Handy? musstu _ Lampe reinmachen; musstu _ Doppelstunde fahren. mit _ Auto; bis _ Libanon; so für _ Bikinifigur; wir sind jetzt _ neues Thema; irgendwann in _ Schule; er hat so _Türkeitrikot und _ Türkeifahne; is voll _ gechillte Beziehung; gegen _ Schweiz; dis dritte Tor war _ Foul; isch hab voll _ Schock bekomm! isch geh so _ Kudamm rauf; Torwart hat doch _ Fehler gemacht.
    Welche Rolle spielt nun die Wortart Artikel in den Hintergrundsprachen des Kiezdeutsch?
    Das Türkische und die slavischen Migrantensprachen Russisch, Polnisch und Jugoslavisch haben überhaupt keinen Artikel.[ 31 ] Hinzu kommt, dass im Türkischen auch ein Geschlecht unbekannt ist. Diese Fakten sprechen für sich selbst: Das Sprachbewusstsein ihrer Sprecher ist auf einen Artikel gar nicht eingestellt.
    Das Arabische hat, wie gezeigt (Abschnitt 6), seinen berühmten Allzweckartikel al . Er wird im gesprochenen Arabisch oft bis zur Unkenntlichkeit abgeschliffen. Er kann für keine Varietät des Deutschen irgendeine hilfreiche Wirkung entfalten.
    Die Balkansprachen Albanisch, Bulgarisch und Rumänisch haben einen Artikel, sogar einen zum Teil sehr komplizierten. Deshalb darf man Sprechern von Balkansprachen schon ein Artikelgefühl unterstellen. In diesen Sprachen wird er aber hinten an das Substantiv angehängt und verschmilzt mit ihm, was offenbar ein anderes Artikelbewusstsein erzeugt. Die Mehrsprachigkeiten Balkanisch-Deutsch sind auch insgesamt noch zu unbedeutend (zu unerforscht), um hier wirklich ernsthafte Aussagen zu liefern.
    Fazit ist, dass keine Migrantensprache von Hause aus auch nur annähernd auf den deutschen Artikel eingestellt ist. Und man darf eines nicht vergessen: Ein beliebiges Wort, nehmen wir Pferd (russisch kon’ , türkisch at ), existiert im Sprachbewusstsein der meisten Migranten als das Pferd, ein Pferd und eventuell auch allgemein im Sinne von Pferde . Alle drei Artikelbedeutungen liegen semantisch diffus zusammen und werden formal nicht auseinander gehalten. Es ist somit ziemlich klar, dass in den Mehrsprachigkeiten der Migranten der deutsche Artikel so gut wie untergepflügt wird. Das Kiezdeutsch bestätigt diesen Befund nur in aller Konsequenz.
Der Ausfall der ‹Kopula›: das Modell München _ weit weg
    Der Wegfall von IST, der sogenannten Kopula des Prädikats in der Gegenwart, ist ein Merkmal von Pidgins und war schon immer ein

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