Mum@work: Roman
Halluzinationen - ein übliches Symptom bei Schlafentzug. Die letzte Nacht war nämlich kurz, oder sagen wir eher, nicht existent, da kurz vor Ende meines heldenhaften Einsatzes für die Mum@Work-Kampagne leider Max aufgewacht ist. Könnte an der dann doch ganz leeren Weinflasche gelegen haben, die mir beim Ferrero-Rocher-Nachschubholen auf die sehr edlen, aber doch etwas unpraktischen Toskana-Fliesen inder Küche gefallen ist und die beim Zerschmettern ein bisschen Krach gemacht hat. In jedem Fall war Max außer sich, sodass ich nach der Job-Nacht noch eine Mama-trägt-den-schreienden-Kleinen-auf-dem-Arm-durchs-Wohnzimmer-Schicht einlegen musste. Als ich dann endlich um fünf Uhr, genau 2,5 Sekunden nach Max, eingeschlafen war, klingelte das Telefon.
Die Softwarepannen hatten sich zu unseren besonders entspannten IT-Kollegen in Indien herumgesprochen, die kurz vor ihrer Mittagspause noch ein paar Nachfragen zu den konkreten Problemen in Deutschland hatten.
Auch wenn Swapnil sicher Chancen darauf hat, von mir beim nächsten konzernweiten und bonusrelevanten »Peer feedback« (auf Deutsch: »Jeder-beurteilt-jeden« oder auch »Jeder-hypt-seine-Freunde-und-schickt-seine-Feinde-in-die-Gehaltserhöhungswüste«) zu meinem Lieblingskollegen gekürt zu werden, um diese Uhrzeit wünschte ich ihn mir auch virtuell genauso weit weg wie er real eigentlich sowieso schon ist.
Im Geisteszustand eines Krankenhausarztes nach einer regulären Dreißigstundenschicht habe ich mich also heute Morgen in unseren Familienminivan gesetzt und bin mit einer Kompanie Schutzengel im Kofferraum quer durch die Morning-Rushhour zur BetterMedia-Zentrale an die Alster geschwebt. Auf dem Weg habe ich Meiki noch beim Bäcker ein Pain au chocolat gekauft, anschließend die Schokospuren in ihrem Gesicht, ihrem Haar und ihrer Kleidung etwas gleichmäßiger verteilt und sie dann bei den Schlauen Füchsen abgesetzt, wo sie gleich wieder von Che freundlich in Empfang genommen wurde. Er war immer noch beim Parkplatzfegen.
Sein McJob hat eindeutige Vorteile - keinerlei Verantwortung, übersichtliche Aufgaben, viel Zeit und geruhsame, oder je nach Geschmack auch aufregende, aber keinesfalls arbeitsreiche Nächte. Ich überlegte kurz, ob ich ihn zu einem spontanen Kehreinsatz in unserer Küche abwerbe. Da liegen nämlich immer noch die Scherben, abgezäunt durch zwei Tripp-Trapp-Stühle und ein mit Leuchtmarker geschriebenes Warnschild.
ACHTUNG!
Scherben!!!
Bitte Max fernhalten und Scherben wegfegen.
Schwere Notsituation. 1000
Küsse, Kathi
Es ist nicht auszuschließen, dass Tobias etwas ungehalten ist, wenn er aufwacht und sich zu seinem traditionellen Frühstücksleberwurstbrot in die Küche begibt. Tobias überhört auch den aufdringlichsten Wecker und hätte selbst den Urknall verschlafen, was ich heute Morgen mal ein kleines bisschen ausgenutzt habe. Max schlummerte noch wie ein kleiner Unschuldsengel, sodass ich mit Mareike diskret das Haus verlassen konnte, ohne Tobias zu wecken. Max wird ihn schon irgendwann wachbekommen.
Tobias kann bestimmt bei Max zu Hause bleiben, einen wichtigen Termin hat er sicher nicht. Hat er nach meiner Einschätzung praktisch nie, warum also heute? Und wenn ich ihm die Dramatik der Lage bei MAMA.Com und die Dringlichkeit der Mum@Work-Kampagne schildere, wird er es mir vermutlich sogar noch hoch anrechnen, dass ich Mareike immerhin in den Kindergarten gefahren habe.
»'cause I'm T.N.T.«
Mein Handy.
Meine 24,5 Mitarbeiter (wir haben einen Praktikanten) sehen mich an, als hätte ich gerade Brad Pitt und Angelina Jolie eine Abfuhr für unsere Mum@Work-Werbekampagne erteilt.
Unverständnis, Entsetzen, Missbilligung.
»I'm dynamite.«
»Tobias.mobil« steht auf dem Display.
Keine Chance. Ich schalte das Handy aus und widme mich dem Flip-Chart, auf dem ich nun die Strategie für unsere Mum@Work-Werbekampagne möglichst überzeugend erläutern soll.
»Liebe Kollegen, wir stehen unter enormem Zeitdruck ... Brainstorming ... der Plan of Action sieht bisher bereits vor ... die Werbeslogans müssen bis Ende kommender Woche stehen, oder wir müssen eine externe Vergabe des Auftrags erwägen ...«
Der Praktikant schreibt eifrig mit. Kreativo Meier-Rupp malt irgendwelche sehr wütend aussehenden Mangas auf den Zettel vor sich.
»Die Mailing-Listen für die Pressemappen bitte vervollständigen ... die Location für die Pressekonferenz steht bereits so gut wie fest...«
Ahm.
»... Termin ist in zwei
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