Mummenschanz
seufzte und schüttelte den Kopf.
»Armes Kind«, sagte er. »Zu spät geboren. Früher ging es bei der Oper nur um die Stimme. Ich erinnere mich an die Zeit der großen Soprane. Dame Violetta Gigli, Dame Clarissa Extendo… Manchmal frage ich mich, was aus ihnen geworden ist.«
»Da geht eine Person, mit der sich Der Ring der Nibelungingung wiederaufführen ließe«, fuhr Unterschaft fort. » Das war eine Oper.«
»Drei Tage lang schreien sich Götter an, und nur zwanzig Minuten ordentliche Melodien«, erwiderte Salzella. »Nein, danke.«
»Kannst du nicht hören, wie Perdita Hildabrun singt, das Oberhaupt der Walküren?«
»Ja. O ja. Unglücklicherweise höre ich auch, wie sie Nobbo den Zwerg singt, und Io, den Boß der Götter.«
»Das waren noch Zeiten…«, sagte Unterschaft traurig und schüttelte erneut den Kopf. »Damals gab es richtige Opern. Ich weiß noch, wie Dame Veritasi einen Musiker in seine Tuba stopfte, weil er gähnte…«
»Ja, aber dies ist das Jahrhundert des Flughunds«, sagte Salzella, stand auf und sah zur Tür.
»Erstaunlich«, fügte er hinzu. »Ob sie weiß, wie dick sie ist?«
Oma klopfte an, und kurz darauf öffnete sich die Tür von Frau Palms diskretem Etablissement.
Die Person jenseits der Schwelle konnte nur eine junge Frau sein. Kein Zweifel. Keine Sprache erlaubte es, sie mit einem jungen Mann zu verwechseln.
Nanny blickte an einer gepuderten Schulter vorbei, sah roten Plüsch und jede Menge Vergoldetes. Ihr Blick glitt zur ausdruckslosen Miene von Oma Wetterwachs empor und kehrte schließlich zu der jungen Frau zurück.
»Wenn wir wieder daheim sind, ziehe ich unserem Nev das Fell über die Ohren«, murmelte sie. »Komm, Esme. Dieses Haus möchtest du nicht betreten. Es würde zu lange dauern, dir alles zu erklären…«
»Oh, Oma Wetterwachs!« entfuhr es der jungen Frau erfreut. »Und wer ist das?«
Nanny musterte Oma, deren Miene sich nicht verändert hatte.
»Ich bin Nanny Ogg«, sagte Nanny. »Ja, ich bin Nanny Ogg, Nevs Mutter«, fügte sie grimmig hinzu. »Ja, genau. Weil ich nämlich…« Die Worte »respektable Witwe« versuchten, einen Platz auf ihren Stimmbändern zu finden, doch diese lehnten eine so enorme Lüge ab. »… seine Mutter bin«, beendete Nanny den begonnenen Satz. »Ja, seine Mutter.«
»Hallo, Colette«, sagte Oma. »Du trägst sehr hübsche Ohrringe. Ist Frau Palm zu Hause?«
»Für wichtige Besucher ist sie immer zu Hause«, erwiderte Colette. »Bitte kommt herein. Bestimmt freuen sich alle, dich wiederzusehen, Oma.«
Mehrere Stimmen hießen Oma Wetterwachs willkommen, als sie in die scharlachrote Düsternis trat.
»Was?« brachte Nanny hervor. »Du bist schon einmal hier gewesen?« Sie beäugte rosarote Haut und weiße Spitze – daraus schien der größte Teil der Szenerie zu bestehen.
»O ja. Frau Palm ist eine alte Freundin. Sie könnte praktisch eine Hexe sein.«
»Aber, ich meine… Weißt du eigentlich, was es mit diesem Ort auf sich hat, Esme?« fragte Nanny Ogg. Eine seltsame Art von Ärger brodelte in ihr. Was die Welten von Pschikologie und Magie betraf, zögerte sie nicht, Oma Wetterwachs’ Kompetenz anzuerkennen. Gleichzeitig vertrat sie die Ansicht, daß bestimmte Bereiche der menschlichen Natur zum Ogg-Territorium gehörten. Oma hatte kein Recht, über sie Bescheid zu wissen.
»Oh, ja«, entgegnete Oma Wetterwachs gelassen.
Nannys Geduld ging zu Ende. »Dies ist ein Haus von zweifelhaftem Ruf, jawohl!«
»Ganz im Gegenteil«, widersprach Oma. »Gewisse Leute loben es sehr.«
»Du wußtest davon? Und hast es mir nie gesagt?«
Oma wölbte ironisch eine Braue. »Ich sollte mit dir darüber reden? Mit der Frau, die den Erdbeerwackler erfunden hat?«
»Nun, ja, aber…«
»Wir alle leben unser Leben so, wie es uns gefällt, Gytha. Und es gibt viele Leute, die Hexen für schlecht und böse halten.«
»Ja, aber…«
»Bevor man jemanden kritisiert, sollte man eine Meile in seinen Schuhen laufen, Gytha«, sagte Oma und deutete dabei ein Lächeln an.
»In Colettes Schuhen würde ich schon nach wenigen Schritten umknicken«, sagte Nanny und knirschte kurz mit den Zähnen. »Ich käme nur mit einer Leiter hinein.« Es konnte einen zur Raserei bringen: Irgendwie verleitete Oma Wetterwachs einen dazu, in ihrem Teil des Dialogs besondere Bedeutungen zu erkennen. Und sie verstand es, erstaunliche Erkenntnisse zu vermitteln, die sich manchmal sogar direkt auf das Wesen des Zuhörers bezogen.
»Es ist ein einladender
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