Mummenschanz
auf. Sie fragte sich, ob die Verlegenheitsröte eines Tages ihren Kopf erreichen und noch weiter aufsteigen würde, um schließlich eine rosarote Wolke über ihr zu formen.
»Äh… ja«, sagte sie. »Ja. Das wäre… nett.«
»Ich muß jetzt gehen.« André lächelte schief und klopfte Agnes auf die Hand. »Ich… Es tut mir leid, daß es auf diese Weise geschieht. Weil… es war wirklich bemerkenswert.«
Er wandte sich ab – und zögerte. »Äh… bitte entschuldige, daß ich dich gestern abend erschreckt habe.«
»Was?«
»Auf der Treppe.«
»Oh. Ich bin nicht erschrocken. Wenigstens nicht in dem Sinn.«
»Du… äh… hast doch mit niemandem darüber gesprochen, oder? Ich möchte nicht, daß die Leute glauben, ich sei grundlos besorgt.«
»Ich habe überhaupt nicht weiter darüber nachgedacht, um ehrlich zu sein. Ich weiß, daß du nicht der Geist sein kannst, falls du dir deshalb Sorgen machst.«
»Ich? Der Geist? Haha!«
»Haha«, sagte Agnes.
»Wir… äh… sehen uns also morgen früh…«
»Ja.«
Agnes kehrte zu ihrer Unterkunft zurück, tief in Gedanken versunken.
Christine stand vor dem Spiegel und beobachtete sich kritisch. Sie drehte sich um, als Agnes hereinkam. Selbst ihren Bewegungen haftete ein Ausrufezeichen an.
»Oh, Perdita!! Hast du gehört?! Ich soll heute abend die Rolle der Jod singen!! Ist das nicht wundervoll ?!« Sie sauste durchs Zimmer und versuchte, Agnes hochzuheben und zu umarmen. Schließlich begnügte sie sich damit, sie nur zu umarmen.
»Ich habe gehört, daß du bereits Chormitglied geworden bist?!«
»Ja.«
»Ist das nicht schön?! Ich habe den ganzen Morgen mit Herrn Salzella geübt!! Kesta!? Mallydetta!! Portah sieh blocka!!« Christine drehte sich glücklich um die eigene Achse. Unsichtbare Pailletten glitzerten.
»Wenn ich sehr berühmt bin, wirst du es nicht bereuen, mich zur Freundin zu haben!!« fuhr sie fort. »Dann tue ich alles, um dir zu helfen!! Bestimmt bringst du mir Glück!!«
»Ja«, erwiderte Agnes hilflos.
»Mein lieber Vater hat mir einmal gesagt, eines Tages würde eine gute Fee kommen, um mir meinen größten Wunsch zu erfüllen, und weißt du was, ich glaube, die gute Fee bist du !!«
Agnes lächelte betrübt. Wenn man Christine etwas länger kannte, mußte man gegen die Versuchung ankämpfen, ihr in ein Ohr zu sehen – um festzustellen, ob man auf der anderen Seite das Tageslicht erkennen konnte.
»Äh… haben wir nicht die Zimmer getauscht?«
»Oh, das! !« erwiderte Christine und lächelte. »Wie dumm von mir!! Als Primadonna brauche ich den Spiegel, nicht wahr?! Es macht dir doch nichts aus, oder?!«
»Was? Oh. Nein, natürlich nicht. Äh… wenn du sicher bist…«
Agnes sah zum Spiegel, zum Bett und richtete den Blick dann auf Christine.
»Nein«, sagte sie, schockiert von der ungeheuerlichen Idee, die von Perdita tief in ihrer Seele stammte. »Bestimmt ist alles in Ordnung.«
Dr. Unterschaft putzte sich die Nase und versuchte, eine Entscheidung zu treffen.
Nun, er mußte sich nicht damit abfinden. Das Mädchen mochte ein wenig Übergewicht haben, aber was bedeutete das schon? Gigli hatte einmal einen Tenor zerquetscht, ohne daß ihr Ruf darunter litt.
Der Chorleiter beschloß, bei Herrn Eimer zu protestieren.
Dr. Unterschaft sah die Sache völlig klar. Er glaubte an Stimmen. Für ihn spielte es überhaupt keine Rolle, wie jemand aussah. Er sah sich die Oper nie mit geöffneten Augen an. Nur die Musik zählte, nicht das, was auf der Bühne geschah. Und schon gar nicht die Gestalt der Sänger.
Warum sollten solche Dinge wichtig sein? Dame Tessitura hatte einen Bart, an dem man ein Streichholz entzünden konnte, und ihre flache Nase nahm einen großen Teil des Gesichts ein. Trotzdem war sie einer der besten Bässe, die jemals Bierflaschen mit dem Daumen geöffnet hatten.
Salzella war folgender Ansicht: Die Leute akzeptierten es, wenn dicke Frauen über fünfzig dünne siebzehnjährige Mädchen spielten, aber dasselbe nahm man dicken siebzehnjährigen Mädchen nicht ab. Die Leute schluckten bereitwillig eine große Lüge – und erstickten fast an einer kleinen Flunkerei. Ja, diese Ansicht vertrat Salzella.
Heutzutage lief etwas verkehrt. Das ganze Haus schien… krank zu sein, wenn das auf ein Gebäude zutreffen konnte. Zu den Vorstellungen fand sich noch immer ein großes Publikum ein, aber es schien kaum mehr Geld zu geben, während alles teurer wurde… Und jetzt gehörte die Oper auch noch einem Käser, um
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