Mundtot nodrm
sah auf seine diamantbesetzte große Armbanduhr. Es war kurz vor 11 Uhr.
Über das dezent geschminkte Gesicht der Frau huschte ein Lächeln. »Es werden sicher noch mehr, glauben Sie mir das. Das ganze System Bleibach hat bereits eine Eigendynamik entwickelt.«
Moser hatte dies längst genauso gesehen. Er war mit dieser Meinung im Stadtverband der Konservativen vorige Woche auf breite Unterstützung gestoßen und aufgefordert worden, mit Hilfe seines Unternehmerverbandes Wege zu suchen, wie dieser Gefahr zu begegnen sei.
Joanna Malinowska nahm noch einen Schluck des alkoholfreien Cocktails und runzelte dabei provokant die Stirn. Moser vermochte dies nicht zu deuten, spürte aber das aufkommende Verlangen, diese Frau wiedersehen zu wollen. »Wir sollten in einer ruhigeren Minute darüber plaudern«, meinte er und deutete ein Lächeln an.
Sie stellte ihr Glas zurück und wirkte augenblicklich wieder kühl. Frauen wie sie, dachte Moser, waren nicht auf plumpe Weise zu gewinnen, und insgeheim ärgerte er sich, diese Bemerkung überhaupt gemacht zu haben. Solche Frauen zeigten keine Gefühle. Sie ließen die Männer im Ungewissen, um selbst zu entscheiden, wann die Zeit für zwischenmenschliche Kontakte reif war.
»Tut mir leid, Herr Moser, aber ich hab einen engen Zeitrahmen.« Und sie fügte süffisant an: »Den Sie schließlich mit veranlasst haben.«
»Um ein politisches Netzwerk aufzubauen, ohne auf die Strukturen einer Partei zurückgreifen zu können, bedarf es nicht nur intensiver Überzeugungsarbeit, sondern auch sehr viel Zeit«, sagte er ebenso sachlich und erhob sich wieder, weil er im Augenwinkel eine Bewegung am Fenster wahrgenommen hatte. Als sei vor dem Hintergrund der nebelgrauen Landschaft ein großer, schwarzer Vogel vorbeigeflogen. Er war irritiert, weil er das Objekt nicht zuordnen konnte.
Die Frau, die es von ihrer Sitzposition aus nicht hatte sehen können, verfolgte ihn verwundert mit stechendem Blick. »Dieses Netzwerk steht bereits, Herr Moser«, erwiderte sie noch eine Spur kühler. »Und zwar so diskret, dass weder Sie noch sonst jemand etwas bemerken.«
7
»Jetzt sind wir auch in Mecklenburg-Vorpommern flächendeckend vertreten!«, triumphierte die junge Frau, die von ihrem Schreibtisch aus den Fernsehturm auf dem Alexanderplatz sehen konnte. Iris Eschenbruch, eine rundliche Frohnatur mittleren Alters, tat so, als betrachte sie die Gründung eines jeden neuen Ortsvereins als persönlichen Erfolg – wohl wissend natürlich, dass dies einem immer größer werdenden Organisationsteam zu verdanken war. Sie lächelte ihren beiden engsten Mitarbeiterinnen zu, die das Telefongespräch, das sie soeben geführt hatte, vom Nebenraum aus mitverfolgt hatten.
Seit sie die Zentrale von Bleibachs ›Strategie-Komitee‹ leiteten, waren sie eine eingeschworene Gemeinschaft. Hier in Berlin liefen die Drähte aller Aktionen und Aktivitäten zusammen. Iris Eschenbruch hatte den charismatischen Mann vor über 15 Jahren in Berlin kennengelernt, als er Praktikant im Büro eines Abgeordneten gewesen war. Seither hatte sie ihn nie mehr aus den Augen verloren. Immerhin kam Bleibach regelmäßig für seine wissenschaftlichen Arbeiten in die Hauptstadt.
»Darauf werden wir heut Abend einen trinken gehen«, fuhr die Frau im Hinblick auf den Erfolg im nordöstlichsten Bundesland fort. »Ich lad euch ein.«
Die beiden anderen Frauen, die sich lässig auf die Lehnen zweier Ledersessel gesetzt hatten, nickten ihr zu. »Das läuft ja super«, meinte eine von ihnen. »Dann fehlen uns nur noch ein paar Landkreise in Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig Holstein.«
»Vergesst Ba-Wü nicht«, grinste Iris Eschenbruch und rückte ihre Hornbrille zurecht. Tatsächlich prangten ausgerechnet in Baden-Württemberg, der Heimat Bleibachs, noch einige weiße Flecken auf ihrer Landkarte. In Oberschwaben und den westlich angrenzenden Gebieten gab es offenbar erhebliche Vorbehalte.
»Ach, Iris«, meinte die andere Mitarbeiterin, »das kriegen wir auch noch hin. Wir haben da einige interessante E-Mail-Kontakte aufgebaut.«
»Natürlich schaffen wir’s«, gab sich Iris Eschenbruch wie immer positiv gestimmt. Diese Lebenseinstellung hatte ihr den Ruf eines ›fröhlichen Düsseldorfer Mädchens‹ eingebracht, das einstens mit einem unerschütterlichen Glauben an sich selbst und ihre Ziele nach Berlin gekommen war. Die Leichtigkeit, mit der sie ein Problem anging, mochte bisweilen den Eindruck erwecken, sie nehme es nicht
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