Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
überall gegenwärtig war. Inzwischen hatte sich alles verändert. Caitlin war ihr näher, als ihr Niall je sein konnte. In ihrer beiden Adern floss das Blut der Makenzies.
»Caitlin«, murmelte Lili verzweifelt. »Caitlin, ich werde dafür sorgen, dass deine Tochter niemals vom Hass verschlungen wird, sondern dass sie in Liebe aufwächst, denn sie ist beides: Munroy und Makenzie.«
Noch während Lili diese Beschwörung aussprach, merkte sie, dass sie die Hände zu Fäusten geballt hatte. Mein Vater ist kein elender Mörder, dachte sie zornig, und dabei überkam sie eine unheimliche Angst, die ihr die Kehle zuschnüren wollte. War sie wirklich in der Lage, über allem zu stehen? Oder gärte auch in ihr schon jener alte Hass der Makenzies auf die Munroys?
Unvermittelt setzte sie sich auf. Nichts wird mehr so sein wie zuvor, schoss es ihr durch den Kopf, während sie sich schmerzhaft danach zurücksehnte, wieder Lili Campbell zu sein, die unbedarfte Lehrerin aus Edinburgh, die Tochter der Köchin Davinia und eines namenlosen Schwarzbrenners aus den Lowlands. Wie war sie nur in diese Hölle geraten?
Ich kann und darf keine Minute länger in diesem Haus bleiben, durchfuhr sie die Erkenntnis wie ein Blitz. Ich will fort, alles vergessen, mich nicht dem Zorn der Munroys aussetzen und Kinder an der St. George’s unterrichten, als sei nichts geschehen.
Schweißgebadet erhob sich Lili und zog ihr Reisekleid an. Jenes, in dem sie vor wenigen Tagen in die Highlands gereist war. Sie holte ihren Koffer hervor und warf wahllos alles hinein. Nur das Kleid mit dem Munroy-Tartan und den Umhang, den Niall ihr geschenkt hatte, drapierte sie auf dem Bett. Diese gehörten nicht zu ihr. Sie würde sie niemals mehr tragen. Mit ihrem gepackten Koffer in der Hand blickte sie sich noch einmal wehmütig in Caitlins Zimmer um.
»Ich kann nichts mehr für euch tun«, murmelte sie verzweifelt. In diesem Augenblick öffnete sich leise die Tür, und wie ein Gespenst trat Isobel ein. Im bodenlangen weißen Nachthemd. Ihre Augen waren vor Schreck geweitet.
»Du … du gehst … du gehst fort?«
Lili wurde bleich beim Anblick des völlig verstörten Mädchens.
»Komm erst mal herein«, raunte sie mit belegter Stimme, doch Isobel drehte sich auf dem Absatz um und rannte auf den Flur. Lili setzte den Koffer ab und lief hinterher. Sie hatte Mühe, das Mädchen einzuholen, doch an der Treppe konnte sie es am Arm packen und festhalten.
»Ich hab’s gewusst«, schluchzte Isobel. »Alle verlassen sie mich.«
Lili aber nahm Isobel bei der Hand und zog sie zurück in ihr Zimmer.
»Nimm mich mit!«, flehte Isobel. »Bitte nimm mich mit!«
»Das geht doch nicht«, erwiderte Lili schwach und ließ sich zitternd aufs Bett fallen. Dann riss sie das verzweifelte Mädchen in ihre Arme und drückte es fest an sich.
33
Inverness, 1. Januar 1914
In Mhairies Zimmer war es dunkel. Nur das fahle Mondlicht verlieh der alten Frau etwas Geisterhaftes. Seit Stunden saß Mhairie regungslos auf diesem Platz am Fenster und wartete darauf, dass es doch endlich wieder Tag werden und der Spuk der schweren Schuld verschwinden möge. In ihren Händen hielt sie eine Ordenskette, deren Band mit nachgebildeten Disteln und Rautenzweigen geschmückt war. An dem Band hing ein Bildnis des heiligen Andreas, der ein emailliertes weißes Andreaskreuz hielt, das von goldenen Strahlen umgeben war.
Mhairie hatte noch kein Auge zugetan in dieser Nacht. Zu tief saß ihr der Schreck über Blaans plötzliches Auftauchen in den Gliedern. Wie verächtlich er sie angeblickt hatte. Wie eine gemeine Verräterin. Aber hatte er nicht recht? War sie in ihrer entsetzlichen Not damals nicht den Weg des geringsten Widerstandes gegangen? War sie nicht sehenden Auges zum Feind übergelaufen? So musste es sich jedenfalls für Blaan darstellen, der gar nicht ahnen konnte, was für Seelenqualen sie in all den Jahren durchlitten hatte. Der nicht wusste, dass sie die Gefangene eines Mannes gewesen war, dessen Liebe zu ihr sich bald in glühenden Hass verwandelt hatte. Wie oft hatte sie sich gefragt, ob es das Opfer wirklich wert gewesen war. Hatte sie nicht letztendlich das Gegenteil dessen bewirkt, was sie einst hatte bezwecken wollen? Und war sie nicht nur ein Feigling, sondern auch eine Verräterin?
Doch sie hatte gebüßt. Jeden einzelnen Tag in dieser Ehe hatte sie für ihren Fehler bezahlt. Nach außen hatte sie die Rolle der tapferen Frau an der Seite des mächtigen Angus Munroy gespielt,
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