Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
Alte.«
»Heißt das etwa, Sie kannten ihn … ich meine … meinen Vater?«
»Flüchtig. Er hat uns einmal besucht, weil wir preiswert und nicht ganz legal Whisky bei ihm gekauft hatten. Und da sah er Ihre Mutter, die damals eine blühende Schönheit war, mit der jedermann ausgehen wollte. Aber sie hatte ihr Herz nun einmal an diesen Makenzie verloren. Man konnte es in gewisser Weise auch verstehen, er war ein hochgewachsener Bursche aus den Highlands, bestimmt über zehn Jahre älter als sie. Doch gerade das imponierte ihr offenbar besonders. Ein wenig wild war er für meinen Geschmack, aber er hat sie geliebt. Keiner hat verstanden, warum er sie sitzen ließ. Es lag wohl an seinem Charakter. Er war ein Getriebener, ein Abenteurer, aber mit einem tadellosen Stammbaum, er soll sogar aus adeliger Familie stammen …«
Lili spürte, wie ihr schwarz vor Augen wurde. Sie ließ sich gerade noch rechtzeitig auf einen Stuhl fallen, bevor ihr die Beine wegknicken konnten.
»Ihre Mutter kann sehr stur sein. Auch wenn sie mir den Hals umdrehen wird, Sie hätten das sonst nie erfahren. Und das ist nicht richtig. Man sollte schon wissen, wo seine Wurzeln liegen, und die sind bei Ihnen weit oben im Norden zu suchen.«
Lili atmete ein paarmal tief durch. »Danke, Doktor Denoon, das werde ich Ihnen nie vergessen.«
»Und Sie, Sie gehen nun schnell nach Hause. Sonst muss ich Sie auch ins Bett verfrachten. Schlafen Sie sich gut aus. Ihre Mutter bleibt über Nacht hier. Wenn etwas mit ihr ist, bin ich gleich da.«
Lili erhob sich langsam. Ihre Knie zitterten, aber sie schaffte es, sich auf den Beinen zu halten. Rasch kehrte sie in die Küche zurück, wusch den Rest des Geschirrs ab, putzte so lange, bis alles glänzte, zog ihren Mantel an und verließ das Haus am Charlotte Square. Draußen regnete es in Strömen, aber sie merkte es kaum. Wie betäubt eilte sie durch die nassen, dunklen Straßen und begegnete nur wenigen Menschen. Die Festlichkeiten waren längst vorüber.
Als sie schließlich schwer atmend die Stufen bis in den vierten Stock hinaufgestiegen war und die Tür aufschloss, zitterten ihr die Hände. Es rührte nicht nur von der klammen Kälte, die sie von draußen mitgebracht hatte, sondern von einer inneren Erregung, die sie am ganzen Körper frösteln ließ. Sie empfand unbändige Wut auf den Mann, der ihrer Mutter das angetan hatte. Und auf ihre Mutter, die, statt ihr die Wahrheit zu sagen, das Bild vom tödlich verunglückten Vater geprägt hatte. Und nun war er nur ein gewöhnlicher Lump, der ihre Mutter sitzen gelassen hatte. Dass er angeblich von vornehmer Herkunft war, machte die Angelegenheit nicht besser.
Ihr war so übel, dass sie es mit letzter Kraft schaffte, sich den Mantel auszuziehen, um sich dann voll bekleidet auf das Bett fallen zu lassen.
4
Edinburgh, 1. Dezember 1913
Es hatte alles so wunderschön begonnen. Lili stand in einem prächtigen Brautkleid vor dem Altar, Seite an Seite mit ihrem Bräutigam, Isobels Vater. Doch statt seines Gesichtes wandte sich ihr wie aus dem Nichts die grausame Fratze des Todes zu, ein steinerner Schädel, wie sie ihn einmal in einen Grabstein eingemeißelt gesehen hatte … da fing sie zu schreien an und wollte nicht mehr aufhören. Erst als sie sich im Bett aufsetzte, verstummte sie, doch ihr Herz pochte bis zum Hals. Zuerst wusste sie nicht, wo sie sich befand, doch bald konnte sie sich wieder orientieren. Sie holte tief Luft. Mit einem Blick auf die Uhr stellte sie fest, dass es höchste Zeit zum Aufstehen war, wenn sie pünktlich in der Schule sein wollte. Wie betäubt verließ sie das Bett, zog sich aus, wusch sich und kleidete sich um. Ohne Frühstück verließ sie das Haus und machte sich auf den Weg zur St. George’s. Es war so spät, dass sie es nicht einmal mehr schaffte, einen Abstecher zum Charlotte Square zu machen, um nach ihrer Mutter zu sehen.
In großer Eile betrat sie das Schulgebäude, als sie ihn erblickte. Lili hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass Isobels Vater sie auf dem dunklen Korridor erwartete.
»Was ist geschehen? Sie sehen ja entsetzlich aus. Sind Sie krank?«, fragte er besorgt, während er ihr einen Schritt entgegentrat.
»Nein, meiner Mutter geht es nicht gut, und ich musste ihr gestern bei der Arbeit helfen«, entgegnete sie hastig.
»Das tut mir leid. Ich wollte Sie nicht überfallen, aber ich musste Sie vor meiner Abreise noch einmal sehen.«
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie förmlich.
Der
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