Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
Mann aus dem Hochland schien verunsichert, denn er räusperte sich ein paarmal verlegen.
»Miss Campbell, ich … ich möchte Sie etwas fragen. Mir ist klar geworden, dass Isobel in Edinburgh nicht glücklich ist und dass sie wieder in meiner Nähe leben sollte. Ich möchte, dass sie nach den Weihnachtsferien zu Hause bleibt, aber ich kann sie nicht allein erziehen. Und da sie so große Stücke auf Sie hält, wollte ich Sie bitten mitzukommen …« Er verstummte und sah sie flehend an.
»Ich soll Isobels Hauslehrerin werden?«, fragte Lili verblüfft.
Sir Niall Munroy lief rot an. »Nein, Miss Campbell, ich möchte Sie um Ihre Hand bitten.«
Lili stockte der Atem. »Ich … ich … Sie … Sie können mich nicht heiraten. Meine Mutter ist Köchin, und Sie …«
Er war ganz nahe an sie herangetreten und berührte sacht ihren Arm. »Das ist mir völlig gleichgültig. Habe ich Sie nach Ihrer Herkunft gefragt? Nein, und es interessiert mich auch nicht. Denn Sie sind die Richtige, um Isobel eine gute Mutter zu sein. Und darauf kommt es an.«
»Sie wollen mich heiraten, weil Sie eine Mutter für Ihre Tochter brauchen?« Sie funkelte ihn empört an.
»Nein, Miss Campbell, weil ich Sie sehr mag. Deshalb.«
»Aber … ich … ich weiß nicht, ob …«, stammelte Lili.
»Ich verstehe, wenn Sie mir nicht sofort ihr Jawort geben. Ich kann warten und mache Ihnen einen Vorschlag: Kommen Sie mit uns in die Highlands, wenn ich Isobel in die Ferien abhole, und verbringen Sie das Weihnachtsfest und Hogmanay mit uns.«
»Das kommt alles so plötzlich«, erwiderte Lili mit heiserer Stimme.
»Bitte, denken Sie darüber nach, und schreiben Sie mir bitte, wie Sie sich entschieden haben. Ich muss mich nämlich sputen. Versprechen Sie mir, dass Sie mir eine Antwort geben?«
Lili schluckte trocken, bevor sie nickte. »Ich werde über Ihren Antrag nachdenken und Ihnen so schnell wie möglich antworten.«
Ehe sie sichs versah, hatte Isobels Vater sie in den Arm genommen und ihr einen Kuss auf die Wange gegeben. Lili stand immer noch wie gelähmt da, als seine Schritte schon längst verklungen waren.
Erst Ian Mackays schneidende Stimme holte sie in diese Welt zurück. »Miss Campbell, Sie wissen schon, dass sich seine erste Frau das Leben genommen hat, oder?«
Lili hatte das Gefühl, der Boden unter ihr gerate ins Schwanken. Sie hielt sich an der Wand fest. Er hatte sie offenbar belauscht. Was sind Sie nur für ein Mensch?, wollte sie dem Mathematiklehrer hinterherbrüllen, doch ihre Worte blieben ihr im Hals stecken, als sie Miss Macdonald in Begleitung von Mrs Denoon auf sich zueilen sah. Deren sorgenvolle Mienen verhießen nichts Gutes.
»Sie wissen es schon?«, fragte die Direktorin.
»Was?«
Miss Macdonald holte tief Luft: »Ihre Mutter … sie ist heute morgen …«
Das war alles, was Lili noch hörte, bevor sie lautlos in sich zusammensackte.
5
Edinburgh, 23. Dezember 1913
Lili zog die Decke noch fester um ihre Schultern. Es war bitterkalt in der Bell’s Wynd, weil ein eisiger Wind durch alle Ritzen in das Innere der Wohnung pfiff. Sie war froh, gleich im neuen Jahr aus dieser zugigen Unterkunft ausziehen zu können, um wieder ins Internat zurückzukehren. Seit Miss Macdonald Ian Mackay auf frischer Tat dabei ertappt hatte, wie er im Lehrerzimmer in Lilis Fach gewühlt hatte, war der Weg frei für sie gewesen, denn die Direktorin hatte dem Mathematiklehrer sofort gekündigt.
Und wenn Lili ehrlich war, konnte sie es in dieser Wohnung ohne ihre Mutter auch kaum mehr aushalten. Ständig glaubte sie, ihre Stimme zu hören.
Wenigstens hatte Davinia eine schöne Beerdigung bekommen. Die Denoons hatten sich nicht lumpen lassen und eine ansehnliche Grabstätte auf dem Cannongate-Friedhof für sie erworben. Lili wusste nicht, wie sie ihnen danken sollte, und hatte darauf bestanden, ihnen das Geld abzustottern, aber die Denoons hatten sich geweigert, auch nur einen Penny von ihr anzunehmen. Im Gegenteil, sie hatten Lili am Tag der Beerdigung sogar ans Herz gelegt, in ihrem Haus zu leben, bis ihr früheres Zimmer in der Schule wieder frei würde. Lili aber konnte und wollte diese Großzügigkeit nicht ausnutzen, sondern behauptete, sie müsse die Sachen ihrer Mutter ordnen. Dabei hatte Davinia nicht viel mehr besessen als einige praktische Kleidungsstücke, ein feines Kostüm, eine Truhe mit altem Krempel und eine Kiste mit persönlichen Dingen. Um diesen Holzkasten machte Lili seit dem Tod ihrer Mutter vor drei
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