Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
ihn seufzend zurück an seinen Platz, erhob sich, schlenderte zum Fenster und schob die schweren Vorhänge beiseite. Sie öffnete das Fenster und lehnte sich weit hinaus. Dabei atmete sie tief die frische Nachtluft ein. Als sie zum Himmel blickte, hingen dort dicke Wolken. Ein eisiger Windzug streifte ihre erhitzten Wangen. Ob es Schnee geben wird?, fragte sie sich und schob das Fenster fröstelnd wieder zu.
Ganz plötzlich musste sie an die Geschichte mit ihrem Vater denken. Bei dem Gedanken, dass er nicht einmal eine Meile von hier hinter dicken Gefängnismauern sein Leben gefristet hatte, wurde ihr seltsam zumute. Und zum ersten Mal, seit sie von seinem Schicksal Kenntnis erhalten hatte, regte sich die Neugier in ihr. Zu gern hätte sie gewusst, wen er einst getötet und was ihn zu der Tat getrieben hatte. Ob er wirklich ein eiskalter Mörder gewesen war? Eine innere Kälte kroch in ihr hoch. Sie holte das wollene Tuch hervor und legte es sich schützend um die Schultern, doch ihr wurde nicht wärmer. Ihre Fingerspitzen fühlten sich an, als wären sie zu Eis erstarrt. Was geht mich dieser fremde Mann an?, versuchte sie sich einzureden.
Um sich abzulenken, trat sie an das Bücherregal und zog den Wälzer über die Schafzucht heraus. Mit dem Interesse einer Lehrerin, die in Vertretungsstunden auch Biologie unterrichtet hatte, blätterte sie darin und erfuhr, dass die Vorfahren der robusten Rasse der Scottish Blackface im zwölften Jahrhundert von Mönchen gezüchtet worden waren. Und dass schon James der Vierte von Schottland im Jahr fünfzehnhundertdrei eine Herde von fünftausend dieser Schafe gehalten hatte.
Sie las sich in diesem Werk so fest, dass sie alles ringsum vergaß. Sie schreckte von dem Buch auf, als es zaghaft an ihrer Tür pochte. Es klang ganz anders als das fordernde Klopfen, mit dem Niall sich bemerkbar zu machen pflegte.
»Herein!«, rief sie leise und blickte neugierig zur Tür.
»Schläfst du schon?«, fragte Isobel leise, als ihr roter Lockenkopf im Türspalt auftauchte.
»Nein, komm nur herein«, erwiderte Lili und legte rasch das Buch beiseite. Sie wollte nicht, dass Isobel das misslungene Geschenk entdeckte.
»Ich kann nicht einschlafen«, seufzte Isobel, die bereits ein Nachthemd trug. »Darf ich mich ein wenig in dein Bett legen?«
»Aber sicher, komm, hüpf schnell hinein. Sonst erkältest du dich noch.«
Das ließ sich das Mädchen nicht zweimal sagen. Lili deckte sie zu und setzte sich an den Bettrand. Jetzt erst sah sie, dass Isobel etwas in der Hand hielt. Sie wollte schon danach fragen, da kam Isobel ihr zuvor. »Das ist das allerschönste Geschenk. Daddy hat mir Moms Bild zurückgegeben.«
»Darf ich es sehen?«, fragte Lili.
Bereitwillig hielt Isobel ihr die Fotografie hin. Zögernd nahm Lili sie in die Hand und betrachtete sie fasziniert. Es war eine Porträtaufnahme, auf der Caitlin sehr ernst und doch wunderschön aussah.
»Sie ist sehr hübsch, deine Mutter«, bemerkte Lili.
»Ja, sie sah aus wie eine Prinzessin«, murmelte Isobel ergriffen.
Lili war froh, dass Isobel die Ähnlichkeit mit ihr, Lili, anscheinend völlig entgangen war. Jedenfalls glaubte sie das, doch da hatte sie sich zu früh gefreut.
»Du bist fast genauso hübsch. Du hast die gleichen Locken – und schau nur, so einen ähnlichen Mund hast du auch.« Isobel hielt inne und blickte ein paarmal zwischen dem Bild und Lili hin und her.
»Ihr seht aus wie Schwestern«, stellte sie schließlich erstaunt fest.
»Das täuscht. Sieh nur, was für ein schmales Gesicht deine Mutter hatte. Meins ist rund wie ein Mond.« Zur Bekräftigung blies Lili die Backen auf.
Isobel lachte. »Das stimmt doch gar nicht! Du hast kein Mondgesicht.« Dann wurde sie wieder ernst. »Und danke für das Kleid.«
»Welches Kleid?«, fragte Lili verblüfft.
»Das du mir zu Weihnachten geschenkt hast.«
»Ach, das! Ja, es ist hübsch, nicht wahr?«
Isobel musterte Lili prüfend. »Du hast es gar nicht ausgesucht. Das war Daddy.«
Lili lächelte verlegen. »Ja, ich wollte dir eigentlich etwas ganz anderes schenken, aber das gefiel deinem Vater nicht.«
»Was war das denn?«
»Ach, das ist nicht so wichtig.«
»Nun sag schon!«
»Es liegt auf dem Schreibtisch.«
Mit einem Satz war Isobel aus dem Bett gesprungen und zum Schreibtisch gerannt.
»Ist es das?« Isobel hielt das Büchlein mit dem roten Samteinband in die Höhe.
»Ja, aber lass es bitte liegen!«
Isobel dachte jedoch nicht daran, sondern kam
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