Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
sich suchend um. Wo waren Niall und Isobel geblieben? In diesem Augenblick vernahm sie ein herzzerreißendes Schluchzen. Es drang aus einem der gegenüberliegenden Zimmer. Lili zögerte, doch dann näherte sie sich der angelehnten Tür seines Arbeitszimmers und lauschte. Was sie hören musste, wollte ihr schier das Herz zerreißen.
»Ich verlange von dir, dass du mir gehorchst. Wenn ich sage, du kommst mit uns zum Flügel, dann gehorchst du ohne Widerrede, verstanden?«
»Aber Daddy, es war doch nur, weil ich an Mom denken musste und wie sie immer am Flügel gesessen hat! Das war so schön und …« Ihre Stimme klang verzweifelt.
»Deine Mutter ist tot. Merk dir das! Und ich möchte fortan, dass wir weder über sie reden noch an sie denken. Verdammt, ab sofort ist Lili deine Mutter, und du hörst auf, dich wie ein Kleinkind zu gebärden.«
»Aber Lili ist nicht meine Mutter. Sie ist meine Freundin!«
»Wenn ich dir sage, sie ist deine Mutter, dann keine Widerrede …«
Laute Schritte näherten sich. Lili zuckte zusammen, aber die Geräusche drangen aus dem Zimmer, in dem Vater und Tochter sich stritten. Dann hörte sie, wie etwas zu Bruch ging und Isobel verzweifelt aufschrie. »Aber, Daddy, nicht die Fotografie von Mom, bitte nicht! Die auf deinem Schreibtisch da, das ist die letzte von ihr. Meine hast du mir doch weggenommen.«
Lili bebte am ganzen Körper. Der Mut, das Zimmer zu betreten und Isobel zu verteidigen, hatte sie verlassen. Wie konnte Niall nur so grausam sein? Doch sie ahnte, dass ihr Dazwischentreten alles nur noch viel schlimmer gemacht hätte.
Auf Zehenspitzen schlich Lili zurück in das festlich geschmückte Zimmer, doch sie setzte sich nicht wieder auf den Platz neben der Großmutter. Sie blieb an der Tür stehen.
»Ich muss mich entschuldigen«, brachte sie heiser hervor. »Mir ist unwohl. Es ist besser, wenn ich mich zurückziehe.«
»Du willst also nicht dabei sein, wenn Isobel ihre Geschenke öffnet?«, fragte Caitronia. In ihrer Stimme schwang ein unüberhörbarer Vorwurf mit.
»Tante Caitronia, ihr ist nicht gut. Sie gehört ins Bett«, verteidigte Dusten sie.
»Schon wieder Unwohlsein? Ich hoffe, an ihrem Zustand ist nicht unser Niall schuld. Oder ist das der Grund, warum sie so schnell heiraten? Dass da schon etwas Kleines …«, lallte Shona, die offenbar schon wieder zu viel Wein getrunken hatte.
»Halt dein Schandmaul, Shona Munroy!«, fauchte Großmutter Mhairie.
Lili warf ihr einen dankbaren Blick zu.
»Nun gut, wenn du dich nicht wohlfühlst, dann geh nur«, bemerkte Caitronia säuerlich.
Das ließ sich Lili nicht zweimal sagen. Sie drehte sich ohne einen weiteren Gruß auf dem Absatz um und eilte hinauf in ihr Zimmer. Dort ließ sie sich stöhnend aufs Bett fallen. Sie konnte sich nicht helfen, aber diese harte Seite von Niall war ihr entsetzlich fremd. Sie überschattete alle schönen Momente, die sie seit ihrer Ankunft in Inverness mit ihm erlebt hatte.
24
Inverness, 25. Dezember 1913
Lili wusste nicht, wie lange sie im dunklen Zimmer auf dem Bett gelegen und sich den Kopf zermartert hatte, als es klopfte. An der fordernden Art erkannte sie sofort, dass es Niall war. Sie hatte inständig gehofft, dass sie ihn an diesem Abend nicht mehr sehen müsse. Vielleicht sollte sie sich schlafend stellen. Zumindest antwortete sie nicht, aber das hielt ihn nicht davon ab, die Tür zu öffnen und ins Zimmer zu treten.
»Lili, schläfst du schon?«, fragte er, und seine Stimme klang alles andere als besorgt oder gar zärtlich.
Sie zog es vor zu schweigen, doch da stand er bereits neben ihrem Bett und zündete, ohne zu fragen, die alte Gaslampe auf ihrem Nachttisch an. Der helle Schein des Lichtes blendete sie so, dass sie sich schützend die Hände vor die Augen hielt.
Niall aber setzte sich davon unbeirrt auf die Bettkante und musterte sie vorwurfsvoll. »Was hast du dir dabei gedacht, Isobel nachzurennen und meine Autorität vor allen anderen derart zu untergraben?«
Lili ließ die Hände sinken und setzte sich mit einem Ruck auf. Nein, sie würde sich diese ungerechtfertigten Vorwürfe unter keinen Umständen gefallen lassen. Kämpferisch begegnete sie seinem Blick.
»Ich denke eher, ich habe die Situation gerettet, und du solltest mir ein wenig dankbar sein, dass ich mich mit deiner Tochter ausgesprochen und sie dazu bewegt habe, euch vorzusingen. Stattdessen redest du mit mir, als hätte ich ein Verbrechen begangen.« Lili verschränkte die Arme trotzig vor
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