Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
war doch schon sieben. Sie ist noch ein einziges Mal wiedergekommen, zu Urgroßvaters Geburtstagsfeier …« Sie brach ab, und Lili kannte den Grund. Weil es jener schicksalhafte Tag gewesen war, an dem sich Caitlin umgebracht hatte. Lili wurde schwindelig. Sie hatte gerade mehr erfahren, als ihr lieb war.
»An dem Tag ist sie lange in Großmutter Mhairies Zimmer gewesen, und danach haben Mom und Dad gestritten. Ich habe nur das Geschrei gehört. Dann fing das Fest an. Meine Mom war ganz merkwürdig und hat mich zu Großmutter Mhairie geschickt. Als ich zum Fest zurückkam, war Mom verschwunden …«
Isobel brach in Tränen aus. Lili nahm sie in die Arme und wiegte sie wie ein kleines Kind. Ihr war immer noch schwindelig. Nein, mehr wollte sie gar nicht wissen. Das würde wahrscheinlich nur immer weitere Fragen aufwerfen. Lili hatte das Gefühl, dass das ganze tragische Geschehen so tückisch wie das Hochmoor war. Setzte man auch nur freiwillig einen Schritt hinein, lief man Gefahr, in den Schlamm hineingezogen werden, zu versinken und in ihm begraben zu werden.
»Und es würde dir wirklich Freude bereiten, in diesem Büchlein deine Erlebnisse und Gedanken niederzuschreiben?«, fragte Lili sanft, bevor Isobel ihr weitere Einzelheiten des großen Geheimnisses anvertrauen konnte. Das wollte sie, wie sie in diesem Augenblick merkte, lieber nicht weiter ergründen. Sie spürte mit einem Mal eine entsetzliche Angst in sich aufsteigen. Hatte Niall nicht vorhin noch eine unbeschwerte gemeinsame Zukunft beschworen? Je weniger ich weiß, desto besser, redete sie sich gut zu. Schließlich kennt er ja auch mein Geheimnis nicht und soll es niemals erfahren. Doch die Furcht, die ihr plötzlich wie ein Mühlstein auf dem Herzen lag, ließ sich trotz aller Anstrengung nicht verdrängen.
»Möchtest du es haben?« Lili versuchte, zu Isobel durchzudringen, die mit leerem Blick in die Ferne starrte, als erlebe sie alles noch einmal. Sie strich Isobel ein paarmal über den Lockenschopf. Sie reagierte nicht, bis sie plötzlich zusammenfuhr, doch statt Lili wahrzunehmen, flüsterte sie. »Mom, wach auf, bitte wach auf!«
Lili hielt den Atem an. Es hatte keinen Zweck, Isobel weiterhin mit dem Tagebuch zu locken. Sie ahnte, was das Kind gerade Schreckliches vor sich sah. Lili kämpfte mit sich. Ein falsches Wort, und sie würde Isobel erschrecken.
»Du hast deine Mutter gefunden, nicht wahr?«, fragte sie nach einer Weile mit belegter Stimme.
Isobel nickte, senkte den Kopf und schlug die Hände vor das Gesicht.
»Ich habe sie gesucht«, schluchzte sie. »Sie war nirgends im Haus, und sie war doch so traurig, und da bin ich zu unserem Bach gelaufen, obwohl Großmutter es mir verboten hat. ›Du bleibst hier!‹, hat sie geschrien, aber ich bin losgerannt. Bis zu unserem Bach. Ich habe zuerst ihr wunderschönes Kleid gesehen. Es war weiß, ich hatte es noch nie zuvor gesehen. Sie lag mit dem Gesicht im Wasser, der Bach war rot gefärbt. Ich habe es geschafft, sie auf den Rücken zu drehen. Ihr Gesicht …« Isobel schrie auf und sprach dann atemlos weiter. »Überall war Blut. Ich habe sie aus dem Wasser gezogen und ihren Kopf auf meinen Schoß gelegt. Sie haben mich erst abends gefunden und mir meine Mom fortgenommen. Ich habe Daddy gefragt, wer das getan hat, doch er hat behauptet, sie ist in den Bach gefallen und gestürzt, aber das kann doch nicht sein. Das Blut war überall. Daddy hat mich beschworen, alles zu vergessen, es sei nur ein schlechter Traum, aber das ist nicht wahr. Denk nicht mehr an deine Mutter, sie ist jetzt bei den Engeln, hat er gesagt. Das kann ich doch nicht. Ich träume so oft von ihr. Ich musste ihm versprechen, mit niemandem darüber zu sprechen …« Isobel warf sich ungestüm in Lilis Arme.
»Es ist gut, dass du dich mir anvertraut hast. Mach dir keine Vorwürfe.«
»Aber bitte verrat mich nicht an Daddy!«, flehte Isobel.
Lili räusperte sich ein paarmal. »Gut, ich sage kein Wort weiter, und du kannst immer zu mir kommen, wenn dich etwas quält. Wir können über alles reden. Es ist nicht gut, wenn man zum Schweigen verdonnert wird. Ich kenne das, meine Mutter hatte einst auch geschworen, mir gewisse Dinge nicht zu verraten, aber damit kann man sie nicht aus der Welt schaffen. Sie tanzen wie Dämonen in deinen Träumen umher. Bella, ich bin doch jetzt bei dir. Wir bekämpfen die bösen Geister, ohne vor ihnen wegzulaufen.«
»Ich bin so froh, dass du mit uns gekommen bist!«, seufzte Isobel,
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