Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
niemals offen liegen! Du weißt selbst – dein Vater hält nichts davon.«
»Ich verspreche es dir«, flötete Isobel, drückte das Tagebuch ans Herz und rannte davon.
Lili reckte sich erleichtert. Es war doch alles gar nicht so schwer. Sie sprang aus dem Bett und zog die Vorhänge beiseite. Draußen war alles grau in grau. Nebenschwaden hingen so tief über dem River Ness, dass die Häuser auf der anderen Seite des Flusses nur zu erahnen waren. Doch davon ließ Lili sich nicht die Laune verderben. Sie wusch sich am Waschtisch mit dem eiskalten Wasser aus dem Krug und kleidete sich rasch an.
Als sie auf den Flur hinaustrat, begegnete ihr Dusten. Er betrachtete sie eingehend.
»So gefällst du mir schon viel besser«, bemerkte er sichtlich angetan. »Deine Augen leuchten wie tausend Sterne.«
Lili lächelte verlegen.
»Niall und ich haben uns ausgesprochen. Er wird in Zukunft etwas mehr Verständnis für Isobel und ihre Trauer aufbringen.«
»Das ist gut. Und es war sehr mutig von dir, dich gestern auf ihre Seite zu schlagen.«
»Ach, ich konnte gar nicht anders. Es ist doch verständlich, dass sie befürchtet, jemand könnte die Stelle ihrer Mutter einnehmen wollen. Inzwischen hat sie aber offenbar begriffen, dass ich ihr weder die Erinnerung nehmen noch ihre Mutter spielen will.«
»Sie hat sehr an Caitlin gehangen, musst du wissen, besonders als die Familie sie …« Dusten unterbrach sich.
Lili seufzte. »Gestern noch hätte ich dich angefleht, deinen angefangenen Satz zu beenden, aber heute kann ich damit leben, dass man in diesem Haus ein großes Geheimnis darum macht, was die Familie damals so gegen die arme Caitlin aufbrachte. Niall behauptet, sie sei gemütskrank gewesen. Mir ist es mittlerweile gleichgültig, was immer sie getan haben mag.«
Dustens Blick verfinsterte sich. »Sie hat nichts Unrechtes getan. Sie war ein wunderbarer Mensch, wenn du es genau wissen willst, und krank war sie bestimmt nicht. Die Familie hat sie am Ende in jene aussichtslose Lage getrieben«, knurrte er.
»Ich habe meinem Herrn und Gebieter versprochen, keine neugierigen Fragen über Caitlin zu stellen. Also, was immer sie zu dieser Verzweiflungstat getrieben hat, ich werde meine Nase nicht mehr in diese Angelegenheit stecken. Begleitest du mich in die Höhle der Löwen?«, versuchte Lili zu scherzen.
»Nein, ich habe geschäftliche Dinge zu erledigen. Wir werden uns die nächsten Tage eher seltener sehen. Bis Hogmanay bin ich eigentlich immer unterwegs.« Der zornige Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören.
»Gut, dann werde ich mich allein dorthin aufmachen. Und vielen Dank noch einmal, dass du mir so viel Verständnis entgegengebracht hast. Ich hoffe, ich bin gewappnet, um in dieser Familie zu bestehen.«
»Das hoffe ich auch, obwohl es mir wesentlich lieber gewesen wäre, ich hätte dich vor Niall kennengelernt.«
»Vor Niall kennengelernt?«, echote sie.
»Nun schau nicht so entgeistert, Lili Campbell! Du bist die hübscheste, tapferste und ehrlichste Frau, die mir seit Langem begegnet ist, und es ist zu schade, dass solche wunderbaren Wesen wie du stets auf meinen Cousin fliegen. Und noch trauriger ist die Tatsache, dass du fortan eine perfekte Munroy abgeben willst, die keine dummen Fragen stellt. Herzlich willkommen in der Familie!«
Ohne einen weiteren Gruß eilte er davon. Lili aber rührte sich nicht vom Fleck. Hatte er ihr soeben, abgesehen davon, dass er sie durch die Blume beleidigt hatte, tatsächlich zu verstehen gegeben, dass er Niall um sie beneidete?
Lili atmete ein paarmal tief durch. Ich muss mich vor ihm hüten, nahm sie sich fest vor. Er hat etwas gefährlich Anziehendes, und wenn ich nicht aufpasse, ergeht es mir genauso wie Caitlin. Je mehr sie darüber nachdachte, desto stärker verfestigte sich ihre Überzeugung: Caitlin hatte Niall mit Dusten betrogen. Deshalb wurde in diesem Haus ein solches Geheimnis um Caitlins tragisches Ende gemacht. Es erklärte überdies, warum Niall nichts mehr von seiner Frau hatte wissen wollen und so gestört auf alles reagierte, was ihn an sie erinnerte.
Lili hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als sie spürte, wie sehr sie diese Vorstellung aufwühlte. So sehr, dass sie nicht den Mut aufbrachte, sich in diesem Zustand ins Esszimmer zu begeben. Ich rede mich auf mein Unwohlsein heraus, beschloss sie, gerade als ihre zukünftige Schwiegermutter um die Ecke bog.
»Kind, wo bleibst du denn? Dir ist doch nicht etwa schon wieder
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