Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
richten uns in der Sitzecke ein, als wären wir in der Schule«, schlug sie vor und begann ohne Umschweife mit dem Unterricht. Isobel war erstaunlich gehorsam. Zu gehorsam, wie Lili feststellte, und sie hatte ein schlechtes Gewissen. Offenbar hatte sie der scharfe Ton, den Lili Dusten gegenüber angeschlagen hatte, erheblich verunsichert. Und im Nachhinein bedauerte es Lili, ihn dermaßen angefahren zu haben. Wahrscheinlich hatte er es wirklich nur nett gemeint. Trotzdem sagte ihr eine innere Stimme, dass sie Dustens Gegenwart in Zukunft meiden sollte. Während Isobel damit beschäftigt war, die Hauptstädte aller europäischen Länder zu Papier zu bringen, kamen ihr noch einmal seine Worte in den Sinn. Nun schau nicht so entgeistert, Lili Campbell! Du bist die hübscheste, tapferste und ehrlichste Frau, die mir seit Langem begegnet ist, und es ist zu schade, dass solche wunderbaren Wesen wie du stets auf meinen Cousin fliegen. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als ihr plötzlich klar wurde, was sie so gegen ihn aufgebracht hatte. Wahrscheinlich hatte er ihr das Kompliment wirklich nur gemacht, weil sie ihn an Caitlin erinnerte. Und sie, Lili, war eifersüchtig auf eine Tote.
27
Inverness, 31. Dezember 1913
An diesem sonnigen Morgen herrschte in dem Haus an der Bank Street geschäftiges Treiben. Herrliche Gerüche nach Black Bun, frisch gebackenem Shortbread und anderen Köstlichkeiten wehten Lili auf dem Flur entgegen. Der Tisch im Esszimmer war bereits verwaist, als sie pünktlich zum Frühstück erschien, doch dann entdeckte sie Großmutter Mhairie auf einem Sessel sitzend und andächtig ins Feuer starrend.
»Guten Morgen«, sagte Lili leise, um die alte Dame nicht zu erschrecken, doch die wandte sich mit einem Lächeln zu ihr um.
»Guten Morgen, Lili. Hast du gut geschlafen? Und hast du deinen ersten Schock überwunden?«
Lili blieb erstaunt stehen. »Welchen Schock meinen Sie?«
»Ich bin Mhairie.« Die alte Lady streckte Lili die Hand entgegen. »Ich meine die Begegnung mit dieser Ansammlung von Heuchlern und Lügnern.«
Lili stockte der Atem. Ob Nialls Großmutter wirklich etwas verrückt war? Dass sie in aller Offenheit aussprach, was sie über diese Familie dachte? Und das vor ihr, einer Fremden?
Mhairie lachte dröhnend.
»Das war ein Scherz, aber wie du ja weißt, steckt hinter jedem guten Witz ein Körnchen Wahrheit. Ich fand es wirklich großartig, wie du dich Weihnachten verhalten hast. Und du musst doch zugeben, dass du da in eine ziemlich merkwürdige Sippe hineingeraten bist.«
»Nun ja … sie haben alle ihre Eigenarten, aber in den letzten Tagen hatte ich keinen Grund zur Klage. Selbst Shona hat sich mit spitzen Bemerkungen zurückgehalten.«
»Ach, Shona, die ist ein eingebildetes, verwöhntes und missgünstiges Mädchen, sie ist neidisch auf dich, weil du so aussiehst, als würdest du der Familie noch etliche gesunde Nachkommen schenken.«
»Es war wohl eher der Schreck nach der ersten Begegnung. Schließlich hat mich Niall seiner Familie ohne Vorwarnung als Verlobte präsentiert.«
Mhairie rümpfte die Nase. »Gut, gut, mein Kind, ich merke schon, du bist gewillt, eine echte Munroy zu werden. Und ich danke Gott, dass du aus Edinburgh kommst und nichts weißt von alledem …«
»Das glaube ich langsam auch. Anfangs störte es mich, dass in diesem Haus kein begonnener Satz beendet wird, doch daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt und will gar nicht mehr wissen, was da vor mir verheimlicht werden soll. Und warum alle erleichtert sind, dass ich nicht aus den Highlands stamme. Geheimnisse hat doch jeder …«
»Du auch?«, fragte Mhairie wie aus der Pistole geschossen.
»Nein … ich meinte nur, dass man die Vergangenheit besser ruhen lässt.«
Mhairie lachte bitter auf. »Ja, das hoffte ich auch, als ich noch jung war, doch es gelang mir mein ganzes Leben lang nicht. Und je älter du wirst, desto bedeutsamer wird das Gestern. Und die quälende Erinnerung schmerzt in deinen alten Knochen.«
»Ich werde versuchen, Niall eine gute Frau und Isobel eine verlässliche Freundin zu sein …«
»Ja, ja, das solltest du versuchen. Vielleicht wird er wieder der Alte und rennt nicht länger wie ein angeschossener Platzhirsch umher.«
»Großmutter, was erzählst du da für Schauermärchen?«, fuhr Niall dazwischen. Er hatte sich den beiden Frauen leise von hinten genähert und legte den Arm besitzergreifend um Lilis Taille. Er hatte sich wieder einmal auf leisen Sohlen ins Zimmer
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