Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
auch nicht von dir. Ich möchte dich nur eindringlich auffordern, dass du ihr Einhalt gebietest, wenn sie dir irgendwelche abstrusen Märchen über unsere Familie auftischt.« Er packte sie bei den Schultern und blickte ihr streng in die Augen. »Hast du das verstanden?«
»Du, sprich nicht mit mir wie mit einem ungezogenen Kind!« In ihrer Wut hauchte sie ihm ihre Fahne direkt ins Gesicht.
»Es ist doch alles nur zu deinem Besten.«
Niall wollte ihr einen Kuss geben, doch da zuckte er angewidert zurück.
»Du hast ja getrunken! Und das am helllichten Tag. Ich wusste doch, dass sie kein guter Umgang für dich ist.«
Er wandte sich voller Empörung von ihr ab und eilte in Richtung der Geschäftsräume. Lili blickte ihm ratlos hinterher, doch dann machte sich wie aus heiterem Himmel ein Lachreiz in ihrer Kehle breit, und sie brach in lautes Gekicher aus. »Aber das tut man nicht als angehende Lady Munroy und Mutter des zukünftigen Baronet«, gluckste sie mit verstellter Stimme, was sehr an Lady Caitronias Ton erinnerte.
»Was ist denn in dich gefahren?«, lachte Dusten.
Lili fuhr herum und hielt sich an der Wand fest. Der Boden unter ihren Füßen schwankte ein wenig.
Er grinste breit, als er näher kam und ihre Fahne roch.
»Hat Großmutter Mhairie dich in die Geheimnisse ihres Kleiderschrankes eingeweiht?«
»Ja, und sie hat mir geschworen, dass du keine Affäre mit …« Sie unterbrach sich und hörte zu kichern auf. »Jetzt hätte ich beinahe was verraten, aber ich darf auch halbe Sätze sprechen, und du wirst nie erfahren, was ich dir gerade sagen wollte.«
Galant reichte Dusten ihr seinen Arm.
»Dann komm mal, du Geheimnisträgerin, ich bringe dich zu deinem Zimmer.«
»Das ist wahnsinnig nett«, erwiderte Lili grinsend und hakte sich bei ihm unter. Vor der Tür angekommen, hatte sie nur noch einen Wunsch: es Großmutter Mhairie gleichzutun und ein Schläfchen zu machen.
»Auf Wiedersehen, Dusten, und danke, dass du mich nach Hause gebracht hast«, flötete sie zum Abschied.
»Nichts für ungut. Es war mir ein Vergnügen«, erwiderte er schmunzelnd.
Beschwingt betrat Lili ihr Zimmer, ließ sich auf das Bett fallen und schlief sofort ein.
28
Inverness, 31. Dezember 1913
Lili spürte beim Aufwachen einen metallenen Geschmack im Mund. Die Leichtigkeit von vorhin war wie von Zauberhand verschwunden. Sie setzte sich auf und blickte sich um. Und schon legte sich erneut die Schwere dieses Zimmers auf ihre Seele. Sie sprang auf, ging zum Fenster und öffnete es. Die frische Luft tat ihr gut, und sie beschloss, auf eigene Faust einen Spaziergang zu unternehmen.
Sie zog den Mantel an, band sich den Schal um, setzte ihren Hut auf und verließ das Haus. Es war zwar kein neuer Schnee gefallen, aber die Straßen lagen immer noch unter einer festen weißen Decke.
Lili wanderte ein ganzes Stück den Fluss entlang, bevor sie umkehrte und durch die belebte Stadt zurückschlenderte. Überall in den Straßen begegneten ihr Menschen mit Geschenkpaketen.
Ich habe kein Geschenk für Niall, fiel ihr plötzlich ein. Sie zerbrach sich den Kopf, was sie ihm von ihrem wenigen Geld noch rasch kaufen könnte. Da fiel ihr der Strumpfdolch ein, den sie im Nachlass ihrer Mutter gefunden hatte. Und sie erinnerte sich, dass Niall beim Weihnachtsfest der Einzige gewesen war, in dessen Strumpf kein Sgian Dubh gesteckt hatte. Wahrscheinlich hatte er ihn verloren. Soweit sie es beurteilen konnte, war der Dolch aus der Kiste ihrer Mutter ein kostbares Stück. Außerdem sollte es nur eine Aufmerksamkeit sein. Natürlich müsste sie ihm verschweigen, woher der Dolch stammte. Da kam es ihr gerade recht, dass sie an einem Laden vorbeiging, in dessen Schaufenster Dutzende von Strumpfdolchen auslagen. Sie merkte sich den Namen des Ladens: Burnett. Falls er fragen sollte, wo sie ihn erstanden hatte.
Unversehens war sie mit den Gedanken wieder bei ihrem Vater, und sie hob suchend den Kopf. Dort oben thronte die Burg über der Stadt. Ohne zu überlegen, setzte sie einen Fuß vor den anderen und folgte dem Weg zum Schloss hinauf. Der Weg war kürzer, als sie befürchtet hatte. Der eisige Wind wehte ihr hier oben ungeschützt entgegen, aber das störte sie nicht. Vor dem imposanten Bau aus rotem Sandstein angelangt, fragte sie sich, was sie hier eigentlich suchte. Hoffte sie, Spuren ihres Vaters zu entdecken? Doch das Schloss diente schon lange nicht mehr als Gefängnis.
Andächtig blieb sie vor dem Denkmal der Flora MacDonald stehen
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