Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
den Nacken. Niall aber löste sich von ihren Lippen. »Komm, Lili, die Gäste erwarten uns.«
»Aber vielleicht kannst du dich ja heute Nacht nach dem Fest zu mir schleichen«, hörte Lili sich verführerisch raunen.
»Lili, auch wenn es mir schwerfällt, ich nehme die Tradition der Hochzeitsnacht sehr ernst.«
»Niall, du bist ein erfahrener Mann. Wenn ich das sagen würde …«
»Du solltest es genauso sehen wie ich. Es ist zu deinem Schutz. Denk nur an das Schicksal deiner Mutter.«
Lili biss sich auf die Lippen, um nichts Unüberlegtes zu sagen. Es war seine zur Schau gestellte moralische Überlegenheit, die sie störte. Er gab ihr ständig das Gefühl, über den Dingen zu stehen. Würde er überhaupt jemals in seinem Leben über die Stränge schlagen und aus Leidenschaft etwas Unvernünftiges tun? Kaum hatte sie sich diese Frage gestellt, da schämte sie sich dafür. Was wollte sie eigentlich? Einen Draufgänger, der sie wie verrückt begehrte und alle Vernunft über Bord warf?
Nein, dachte sie, ich kann froh sein, nicht an einen solchen Mann geraten zu sein wie meine Mutter, der sie zwar wohl abgöttisch geliebt hatte, aber dann für einen Mord büßen musste, statt ihr ein guter Ehemann zu sein.
»Du hast ja recht, mein Liebling«, seufzte sie und hakte sich wie eine echte Dame bei Niall unter.
29
Inverness, 31. Dezember 1913
Die Familie hatte sich bereits im großen Saal versammelt, als Lili und Niall eintraten. Alle waren festlich gekleidet, und vor dem Kamin stapelten sich Geschenkpakete. Das erinnerte Lili daran, dass sie den Dolch vergessen hatte. Ohne die Familie zu begrüßen, holte sie das Geschenk aus ihrem Zimmer und legte es unauffällig zu den anderen.
»Wo warst du?«, fragte Niall unwirsch. »Plötzlich warst du verschwunden, und ich stand hier ganz allein.«
»Tut mir leid, ich hatte etwas vergessen.« Dann lächelte sie in die Runde. Die anderen standen mit ihren Gläsern in der Hand um den Kamin herum.
»Guten Abend«, flötete sie. Wie erwartet starrte Shona sie finster an, hielt aber den Mund.
Dafür schenkte ihr Mhairie, die wieder in ihrem Sessel saß, einen bewundernden Blick. »Du siehst bezaubernd aus, mein Kind.«
»Da muss ich mich Großmutters Urteil anschließen«, bemerkte Dusten.
Lili lächelte verlegen.
»Ja, das ist mein Geschenk von Niall. Er hat bei unserer ersten Begegnung meine Maße anscheinend so genau in Augenschein genommen, dass das Kleid wie angegossen passt, obwohl der Schneider mich niemals zuvor gesehen hatte.«
»Deine Maße. Dass ich nicht lache. Du hast doch genau die gleiche Figur wie …«, geiferte Shona, wurde aber umgehend von Caitronia mit strafenden Blicken zurechtgewiesen.
»Du siehst so schön aus«, schnurrte Isobel und schmiegte sich an Lili, die ihr den Arm um die Schultern legte.
»Ist das nicht eine reizende Familie?«, entfuhr es Shona spitz. »Da fehlt doch nur noch der Thronfolger.«
»Schatz, nicht heute! Die Gäste treffen gleich ein«, zischte Craig seiner Frau zu. Er trug ebenfalls seine Festtagskleidung, aber er wirkte wie ein blasser Abklatsch seines älteren Bruders. Lili warf einen unauffälligen Blick auf Craigs und dann auf Dustens Bein. Sie hatte richtig beobachtet: Die beiden trugen je einen Sgian Dubh. Dann schweifte ihr Blick zu Dustens Gesicht. Er sah mindestens so gut aus wie Niall. Er war ein anderer Typ mit dem wirren blonden Haar und den ungleich breiteren Schultern, aber er gefiel Lili ausnehmend gut. Sie errötete, als er ihr zuzwinkerte. Wahrscheinlich spielte er auf ihre Erlebnisse mit Mhairies Whisky an. Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
Sie war in Gedanken noch bei Dusten, als sie einen Schmerz verspürte. Niall quetschte ihre Hand so hart, dass sie beinahe aufschrie. Entsetzt sah sie ihn an. Er schwieg hartnäckig, doch in seinen Augen stand deutlich geschrieben, dass ihm der vertraute Blickkontakt mit Dusten missfiel.
Sie nahm sich vor, Nialls Cousin im weiteren Verlauf des Abends möglichst zu ignorieren, wenngleich ihr Nialls ständige Eifersucht ganz und gar nicht behagte. Er hat doch keinen Grund, dachte sie erbost, oder merkt er, dass ich an Dusten einiges schätze, das ich bei ihm vermisse? Sie konnte sich nicht helfen, aber die Selbstsicherheit und Souveränität, die Dusten ausstrahlte, gepaart mit seiner Warmherzigkeit, dem Humor und seiner Gelassenheit, imponierten ihr sehr. Er kann bestimmt sehr leidenschaftlich sein, durchfuhr es sie siedend heiß.
Lili befürchtete,
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