Munzinger Pascha
Wasser gleiten. Kopf und Schultern bettet er aufs moosige Ufer, Arme, Bauch und Beine treiben wie Seerosen auf dem Wasser. Die Singvögel jubeln, zwischen den Bäumen weiden die Schafe, das Dach der Palmenblätter wirft einen kühlen Zebraschatten auf den Boden und gleich neben Werner fallen honigsüße Datteln ins Wasser. ›Hier bleibe ich‹, denkt Werner. ›Hier bleibe ich |65| liegen, bis ich ganz und gar mit Moos überwachsen bin.‹ Da spitzt er die Ohren – was ist das? Musik? Hier, in dieser Abgeschiedenheit? Die Klänge kommen näher; kein Zweifel, da singt jemand, und zwar voller Andacht und Hingabe: »Laudate Dominum, quoniam Bonus est psalmus . . . Per misericordiam tuam, Deus noster . . .« Zwischen den Palmenstämmen taucht eine braune Mönchskutte auf, tritt ans Seeufer und läuft auf Werner Munzinger zu.
›Jetzt bin ich halt nackt‹, denkt Werner, dessen Kleider sich auf dem Rücken des Esels irgendwo im Wäldchen verloren haben. ›Soll mich der Mönch eben sehen. Wenn ich aus dem Wasser steige, werde ich nur noch nackter.‹
Die Ärmel der Mönchskutte sind ineinander verschränkt, die Kapuze ist so weit vornübergezogen, daß vom Scheitel bis zur Sohle kein Fleckchen Haut zu sehen ist. Der Gesang verstummt. Endlich ist die Gestalt da und kauert sich neben Werner ins Moos. Jetzt erst kann Werner in der Tiefe der Kapuze ein Gesicht erkennen. Es ist das hübsche Gesicht eines jungen Griechen, umrahmt von schwarzen, vollen Locken. Eingehend und freundlich betrachtet der junge Grieche den Fremdling, dessen Nacktheit er gar nicht zu bemerken scheint. Werner Munzinger seinerseits wundert sich über dieses ebenmäßige und friedfertige Antlitz in der Mönchskutte. Wie alt er wohl sein mag? Dieser Mönch sieht aus wie einer, der ein Leben lang jung, unschuldig und wohlduftend bleibt, um schließlich mit hundertzwanzig Jahren schnell, geruchlos und lächelnd zu sterben. Wahrscheinlich der Klostergärtner, der nichts anderes zu tun hat, als hier jahrein, |66| jahraus den Dattelpalmen beim Wachsen zuzuschauen.
Werners blaue Augen treffen auf den dunklen Blick des Griechen. ›Warum begrüßt er mich nicht?‹ denkt Werner, der noch immer lang ausgestreckt im Wasser liegt. Wahrscheinlich denkt der Grieche dasselbe, und so ist es schon bald für alles Reden zu spät. Nach langem Schweigen löst sich Werner von den Augen des Griechen; sein niedergeschlagener Blick streift die eigene schmale Brust und den Penis, der in der Strömung wogt wie eine Wasserpflanze. Er möchte weglaufen, sich bedecken, eine Pistole in der Hand halten – und bleibt doch im Wasser liegen. Steif wie ein Brett dümpelt Werner im Wasser, versucht dem Griechen möglichst gelassen unter die Kapuze zu schauen. Der Mönch bemerkt den verlegenen Blick und errötet. Er steht auf und dreht sich um. Gemessenen Schrittes zieht er los, und Werner Munzinger hört wieder diesen himmlischen Tenor: »Vide, Domine, et considera . . .«
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Nach vier Stunden Flug, dreißig Minuten Taxi- und fünfundvierzig Sekunden Liftfahrt saß ich auf der Dachterrasse des Hotel Carlton mitten in der Kairoer Innenstadt. Vor mir stand ein eisgekühltes Heineken-Bier in dieser freundlich grünen Dose, die auf der ganzen Welt genau gleich aussieht und zuverlässig exakt denselben Saft enthält. In der Straßenschlucht tief unten pulsierten Tausende von Taxis wie die roten Blutkörperchen im Schulfernsehen. Ich schaute hinüber zu den Hochhäusern, die Italiener, Griechen, Franzosen und Briten noch vor der arabischen Revolution von 1952 gebaut hatten; wie gestrandete Ozeanriesen standen sie einträchtig in der flimmernden Hitze, umspült vom endlosen Meer der arabischen Quartiere – Queen Mary neben Titanic, Ile de France neben United States und Andrea Doria. Sie zerbröselten allmählich unter der sengenden Sonne; da und dort waren die obersten Stockwerke schon zerfallen, und aus dem Geröll wuchsen windschiefe Holz- und Strohhütten. Da lag eine Ziege im Schatten eines Wellblechdachs, auf dem nächsten Hochhausdach melkte jemand ein Schaf und auf dem übernächsten irrte ein Dutzend Hühner umher.
Noch stand die Sonne knapp über der graubraunen Dunstglocke, die hartnäckig wie ein böses Gerücht über der Stadt lag. Scharf hob sich die Felsnadel des |68| sechsunddreißigstöckigen Hotel ›Hilton-Ramses‹ vom Abendrot ab. Gleich dahinter mußte der Nil liegen, und fünfzehn Kilometer weiter, wo hinter dem Dunst der Abgase die Wüste beginnt,
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