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Munzinger Pascha

Munzinger Pascha

Titel: Munzinger Pascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Capus
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unglaublicherweise genau so aus wie auf den Millionen Fotos, die es von ihnen gibt. Schon der Weg vom Stadtzentrum hinaus nach Giseh hat es in sich. Er führt über einen fünfzehn Kilometer langen Damm, den 1869 der verliebte König Ismail über die Ufer des Nils durch Sumpf und Reisfelder bauen ließ, damit seine Eugénie, die Kaiserin der Franzosen und Ehefrau Napoleons des Dritten, trockenen Fußes hinkam, falls sie ihn einmal besuchen sollte. Mit dieser und anderen Extravaganzen hat er Ägypten endgültig in den Ruin getrieben, aber genützt hat es ihm nichts. Die schöne Eugénie nämlich reiste im November wohl an zur Eröffnung des Suezkanals, aber von Ismail wissen wollte sie nichts   – erstens hatte sie keine Zeit für ihn, denn sie war sehr mit Regieren beschäftigt; zweitens hatte sie keine Lust auf ihn, denn sie war gebürtige Spanierin und klerikal und bigott; und drittens war es ein allzu durchsichtiger |76| Trick von Ismail, den Damm zu beiden Seiten hin abfallend bauen zu lassen, damit die Kutsche auf der Hin- und Rückfahrt in Schräglage wäre und Eugénie sich gegen seine Schulter lehnen müßte.
    Soviel dazu. Gleich beim Taxistand gibt es einen Ticketschalter; die Pyramiden kosten Eintritt. Eine staubige Straße führt auf die drei mächtigen Dreiecke zu. Im Geröll links von der Straße kauert der Sphinx. Zu dessen Füßen warten Kamele auf Touristen und riechen stark nach Zirkus.
    Die Cheopspyramide ist groß. Sehr groß. Die schweren Steine. Die Sklaven. Die Plackerei in der Hitze. Weiter zur Chephrenpyramide und hinüber zu der des Mykerinos. Ungeheuer viel Stein wurde da aufeinandergeschichtet. Zum Lachen, wenn man’s von nahe betrachtet. Diese Arbeit, diese vergebliche Mühe!
    Aber da! Gleich hinter der Mykerinospyramide stehen drei winzige Bonsaipyramiden, jede einzelne kaum größer als ein Einfamilienhaus. Die würden Dir gefallen. Sie sind nie abgebildet in den Hochglanzbänden; seit der Erfindung der Fotografie verpassen sie den Bildrand immer um wenige Zentimeter. Die drei Winzlinge hat Mykerinos bauen lassen als Grabmäler für seine Lieblingsfrauen. Den großen Männerpyramiden ähneln sie nur entfernt, denn der Zahn der Zeit hat an ihnen jede Geometrie zum Verschwinden gebracht. Langsam, aber stetig bröseln sie dem Wüstenboden entgegen, lässig und ungepflegt im Schatten der fotogenen Stars.
    |77| Auf die kleinste von ihnen bin ich hochgeklettert. Zuoberst angekommen, legte ich mich in den Schatten eines gut erhaltenen Steinquaders und schloß die Augen zum Mittagsschlaf. Mit dem Daumen strich ich an einer scharfen, fadengeraden Kante entlang. Da hatte ein Steinmetz gute Arbeit geleistet. Über die Jahrtausende hinweg grüßte ich den drahtigen kleinen Ägypter, der hier seinen Schweiß vergossen hatte, lauschte dem Ting-Ting seines Meißels und roch den scharfen Geruch seiner sonnenverbrannten Haut, und als im Westen die Sonne unterging, folgte ich ihm hinunter ins Lager, wo der Koch in einem riesigen Messingtopf Suppe für zehntausend Fronarbeiter bereithielt. Ich stellte mich in der Warteschlange an und unterhielt mich mit anderen Arbeitern, während der Wind unsere verschwitzten Körper trocknete. Ich streckte dem Koch mein tönernes Schälchen hin, und er schöpfte mir das Abendbrot mit einem hölzernen Löffel. Als der Mond aufging, lief ich hinüber ans Ufer des Nils und rief: »Polja! Polja!« Ich entdeckte Dich einige hundert Schritte flußaufwärts, wie Du gerade Dein Boot ins Wasser stießest. Es war ein blitzblankes, feuerwehrrotes Rennboot. Du winktest mir zu. Ich lief zu Dir. Du machtest die Leine los, und wir fuhren auf und davon, den Blauen Nil hinauf und hinein ins Mondgebirge.
    Bis bald
    Dein Max
     
    PS: Ich wohne im Hotel Carlton. Schau doch mal vorbei, wenn du magst.

|78| 15
    Weihnachten 1853.   Seit drei Monaten steckt Werner Munzinger in Massaua fest, diesem verlausten und flohverseuchten Nest. Ein ganzes Jahr muß er noch bleiben und für Dupont & Cie. Einkäufe tätigen. Dabei hat er längst genug. Die ewigfeuchte Hitze geht ihm auf die Nerven, die tagsüber oft 50   Grad Celsius erreicht und abends kaum je unter 35   Grad sinkt. Vom brackigen Trinkwasser, das die Wasserverkäufer in Lederschläuchen vom Festland herüberrudern, hat er namenlosen Durchfall. Seit Wochen hat er nicht mehr richtig geschlafen, ständig wach gehalten von Ungeziefer, Magenkrämpfen und der aschgrauen Hitze. Wie alle Einwohner Massauas verbringt er die Nächte vor der

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