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Munzinger Pascha

Munzinger Pascha

Titel: Munzinger Pascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Capus
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Einer hat ihm von hinten den Schädel eingeschlagen, ein zweiter die Lanze in den Rücken gestoßen. Dann haben sie seine Leiche in kleine |92| Stücke geschnitten und im Gebüsch verstreut, den Hyänen zum Fraß. Die Ohren haben sie in der Nacht vor meinem Haus in den Staub gelegt.«
    »Oh. Wieso das?«
    »Blutrache. Mein Mann hatte eine Tochter der Nureddins verschleppt und als Sklavin verkauft.«
    »Warum hat er das getan?«
    »Blutrache. Zuvor hatte ein Nureddin seine Schwester geschwängert, ohne sie zu heiraten. Und das wiederum war die Rache dafür, daß ein Onkel meines Mannes den Nureddin eine Kuh gestohlen hatte. Ob er die Kuh wirklich gestohlen hat, ist ungewiß. Die Familie meines Mannes sagt, das Tier habe sich nur in der Nacht auf ihren Weidegrund verirrt und sei dort von einem Nureddin am frühen Morgen als erstem entdeckt worden. Wäre der Onkel meines Mannes an jenem Morgen etwas zeitiger auf die Weide gegangen, hätte er die Kuh auf die eigene Weide zurückgetrieben. Dann hätte meine Schwägerin kein uneheliches Kind zur Welt gebracht   – sie hat es abseits des Dorfes geboren, sofort erschlagen und im Erdboden verscharrt, wie es das Gesetz verlangt. Und die Tochter der Nureddin wäre keine Sklavin in einem arabischen Harem, und mein Mann würde seine Ohren immer noch am Kopf tragen.«
    »Oh.«
    »Du starrst mich immer noch an.«
    »Du bist sehr schön.«
    »Das hast du mir schon mal gesagt. Kannst du singen?«
    »Nein. Ich habe die Stimme einer Krähe.«
    »Das ist schade. In unserem Dorf singen die Männer |93| ein Lied, wenn sie ein Mädchen schön finden. Bist du sicher, daß du kein Lied für mich singen kannst?«
    »Ich könnte es versuchen. Was für ein Lied soll ich singen?«
    »In unserem Dorf besingen die Männer die Schönheit ihres Mädchens.«
    »Ich will es versuchen. Wenn du mich hernach nicht auslachst.«
    »Wenn ein Mann schlecht singt, lacht ihn das Mädchen aus. Wir Mädchen haben ein Recht zu lachen.«
    »Und welches Recht hat der Mann?«
    »Während er singt, darf er das Mädchen anschauen, wo und wie lange er will.«
    »Dann mache ich dir einen Vorschlag: Ich schließe die Augen, während ich singe, und du lachst mich nicht aus.«
    Die Frau lacht. Werner sieht ihren gebogenen Hals, ihre Zähne und ihr Zahnfleisch. »Das ist nicht gerecht. Du hast mich schon jetzt für die Dauer eines langen Liedes angestarrt. Zur Strafe darfst du mich nur vom Hals an aufwärts besingen   – mit geschlossenen Augen. Und jetzt sing!«
    Werner Munzinger läßt sich rückwärts ins Gras fallen, schließt die Augen und beginnt:
     
    Illi zegadä keli gerä ab rischu
    Illi zegäda mohänekla woridu
    Illi aintäta gaehrei dol lafagigu
    Illi assära weld ebermet faritu
    Illi aindba weld beddäle schekiku
    Illi ainaba halib ensa ragitu
    Bismillähi u fitu!
     
    |94| Das heißt:
    Dein Hals ist des Straußens Hals mit seinen Federn
    Dein Hals mit dem schön geformten Bogen
    Deine Augen sind der Morgenstern in seinem Aufgehen
    Dein Zahnfleisch ist die dunkle Frucht des Ebermet
    Deine Zähne gleichen den in Reihe sitzenden wilden Tauben
    Deine Zähne gleichen der Kamelmilch, der festgeronnenen
    Ich bitte Dich im Namen Gottes, laß mich kosten davon!
     
    Und dann liegt er stumm und blind da und wartet ergeben auf das Gelächter, das ihn gleich zerschmettern wird. Aber es bleibt still; Werner hört nichts als den Wind, der zärtlich durchs hohe Gras streift. Er schlägt die Augen auf, und natürlich ist die schöne Negerin längst über alle Berge. Kurz vor Sonnenuntergang kommt Mohammed zurück, die Maultiere schwer beladen mit Leopardenfellen, Elfenbein und Straußenfedern.
    Der Heimweg ist ebenso strapaziös wie die Anreise. Werner Munzinger schwört tausendmal, daß er in Massaua das erstbeste nach Europa fahrende Schiff nehmen wird, als Schiffsjunge, als Koch, als blinder Passagier, wenn’s sein muß. Von der letzten Bergkette schaut er hinunter aufs Rote Meer und die drei kleinen Inseln von Massaua. Da   – nähert sich nicht ein Fünfmaster von Norden her? Durch das Fernrohr sieht |95| Werner die Trikolore zwischen den Segeln flattern; es ist eines der drei Frachtschiffe von Dupont & Cie. Werner treibt den Esel zur Eile an   – wie wenn er wüßte, daß in einer Stunde ein Postsack auf den Quai hinuntergeworfen wird, der einen Brief für ihn enthält.
     
    Olten, an Weihnachten 1853
    Lieber Werner!
    Bist Du noch am Leben? Einmal mehr schicke ich aufs Geratewohl ein paar Zeilen in die Welt

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