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Munzinger Pascha

Munzinger Pascha

Titel: Munzinger Pascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Capus
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hinaus, nicht wissend, ob Dich mein Brief auf dieser Welt noch erreichen kann. Bitte laß von Dir hören, sobald Du es vermagst. Mutter, Vater und all Deine Geschwister sind sehr in Sorge um Dich.
    Was uns Daheimgebliebene betrifft, so haben wir uns am Heiligen Abend alle im alten Munzinger-Haus in Olten versammelt; ich durfte konstatieren, daß soweit alle wohlauf sind. Es war im übrigen oft von Dir die Rede, und ich habe die angenehme Pflicht übernommen, Dich von allen aufs herzlichste zu grüßen.
    Vor allem der Vater hat viel von Dir gesprochen. Du weißt ja, mit welcher Begeisterung er Dein abenteuerliches Leben verfolgt. Ich glaube gar, wenn ihn nicht sein Pflichtgefühl zurückhielte, wäre er schon längst in den Orient gereist, um mit Dir nach den Quellen des Nils zu suchen. »Ich ginge auch gerne mit Werner nach Asien, denn Europa ist nun mal entschieden verrückt geworden«, hat er mir kürzlich geschrieben. Man |96| stelle sich vor: Der amtierende Finanzminister der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Bundesrat Josef Munzinger, packt seine Angehörigen in einen Eisenbahnwaggon und verreist auf Nimmerwiedersehen in den Orient! Vater hat sehr gelacht beim Gedanken, daß er auf seine alten Tage noch Arabisch lernen müßte.
    Ich muß Dir aber sagen, daß er in letzter Zeit nicht besonders fröhlich ist. Seit dem Herbst ist er derart schwermütig geworden, daß wir ihn nach Bad Schinznach zur Kur bringen mußten. Dabei ist es nicht das Regierungsamt, das seinen Schultern zu schwer würde; es ist die Verlogenheit des diplomatischen Parketts, der falsche Glanz goldener Fassaden, das hinterlistige Lächeln seiner Erzfeinde, was sein republikanisches Gemüt mehr als alles andere bedrückt. Die letzten drei Monate hat Vater seine Geschäfte fast ausschließlich von Bad Schinznach aus geführt; der Herr Finanzminister regiert zur Zeit buchstäblich im Schlammbad. Und wenn er den Gang nach Bern ins Bundeshaus für einmal wirklich nicht vermeiden kann, so weint er zuvor tagelang, Werner, stell Dir nur diese Verzweiflung vor. Er entrichtet einen hohen Preis für die Ehre, die unsere Familie erntet, und zuweilen frage ich mich wirklich, ob es nicht das beste wäre, Du würdest dem Finanzminister in Deiner Negerhütte politisches Asyl gewähren.
    Was mich betrifft, so werde ich Deine Gastfreundschaft vorderhand nicht in Anspruch nehmen. Wenn Dich irgendeiner meiner Briefe erreicht hat, so weißt Du, daß ich im vergangenen |97| Jahr mein Bureau eröffnet habe und zur Zeit sehr beschäftigt bin.
    Zum Schluß eine ganz ernsthafte Bitte: Wie Du weißt, hängt der Vater mit jeder Faser seines Herzens an Deinem Schicksal. Ein Wiedersehen mit seinem verlorenen Sohn, den er so sehr bewundert, könnte seine Seele für lange Zeit gesund machen. Da ich Dir den Finanzminister aber nicht gut nach Afrika hinunterschicken kann   – komm bald heim, Werner! Komm doch nächsten Frühling, wenn das Meer wieder glatt ist und der Jura frei von Schnee.
    Auf baldiges Wiedersehen,
    Dein Bruder Walther Munzinger

|98| 18
    Kreischend ging die Glastür des Staatsarchivs auf. Ich stürzte die Treppe hinunter, einen dicken Stapel fotokopierter Briefe unter dem Arm, warf einen letzten Blick auf den Nil und nahm ein Taxi zum Flughafen. In der Eingangshalle rief gerade eine scheppernde Lautsprecherstimme meinen Namen aus, und zehn Minuten später saß ich im Flugzeug. Ich schnallte mich an, zog die Schuhe aus, räkelte mich behaglich in den Sitz und überschaute die Köpfe der Passagiere. Die Stewardeß ermahnte mich mütterlich, die Sitzlehne senkrecht zu stellen und die Gurte fest anzuziehen. Ich schloß die Augen in Erwartung der Beschleunigung und schlief sofort ein.
    Nach vier Stunden Flug, fünfundvierzig Minuten Zugfahrt und drei Minuten Fußmarsch zwinkerten mir durch die verregnete Abenddämmerung vertraulich die Fenster des ›Ochsen‹ entgegen. Brav an ihren Plätzen saßen der kleine Rocker Willy und der große Hippie Werni mit den zwei anderen Typen und spielten Karten. ›So ist das nun mal in der Kleinstadt‹, dachte ich. ›Man wird im selben Spital geboren, sitzt gemeinsam in derselben Schulbank, dann trinkt man ein paar Bier zusammen und macht ein Spielchen oder zwei, und dann legt man sich friedlich nebeneinander ins Grab.‹
    Der kleine Willy sah mich als erster. Die Sonne ging |99| auf in seinem Gesicht. Er legte glücklich die Karten auf den Tisch und flatterte mit den Armen wie ein Vögelchen, das vorzeitig aus dem Nest

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