Munzinger Pascha
gefallen ist: »He, Max, schau her! Guru, guru! Du bist ein Täubchen, ein süßes kleines Turteltäubchen!«
Die Jasser lachten und grölten. Ich trat kalt lächelnd an Willy heran, griff nach seiner Lederjacke, zog den Reißverschluß hoch und immer höher, bis unters Kinn und noch weiter hinauf, hob ihn am Reißverschluß aus dem Stuhl, drückte ihn gegen die Wand und ließ ihn dann zu Boden gleiten.
Das tat ich natürlich nicht. Ich lächelte gequält, grüßte in die Runde und verdrückte mich mit meinen Fotokopien in die hinterste Ecke der Kneipe.
Alexandria, 20. Februar 1855
Lieber Walther!
Das Leben spielt einem die unglaublichsten Streiche. Stell Dir vor, daß ich in diesem Moment vom Fenster meiner Herberge auf den Hafen von Alexandria hinuntersehe; weiter, daß in diesem Hafen ein stattlicher Dreimaster liegt, der heute abend nach Triest in See sticht, und daß an Bord dieses Schiffes eine Kabine für mich reserviert ist. Denn endlich habe ich die Zeit und die Mittel, um nach Hause zu eilen und unseren kranken Vater ans Herz zu drücken. Ist es da nicht ein Hohn, daß ebendieser Dreimaster vor drei Tagen Deinen Brief herbrachte, in dem Du mir Papas Tod mitteilst?
|100| Wie gerne hätte ich noch einmal jene Hand gedrückt, die uns beiden den Lebensweg gewiesen! Denn es steht doch ganz außer Zweifel, daß wir Söhne bei jedem unserer Schritte heimlich des Vaters eingedenk sind, ob er ihn auch gutheiße. Wir dünken uns wunder was für Abenteurer und Gelehrte und sind doch immer nur die Söhne des großen Vaters.
Trotzdem oder gerade deshalb muß jeder seinen Weg weitergehen. Nimm mir bitte nicht übel, daß ich unter den neuen Umständen nicht an Bord gehe. Ich will, ich muß zurück nach Abessinien. Ich reise nach Keren im Lande der Bogos, um dort meiner wissenschaftlichen Arbeit nachzugehen, einen Garten anzulegen, etwas Handel zu treiben – und zu leben. Gleich morgen breche ich auf und hoffe, in drei Wochen in Keren anzukommen.
Habe ich Dir die Bogos schon beschrieben? Wer dieses Volk besucht und seine schönen Täler durchwandert hat, bringt den Eindruck eines Gelobten Landes in den Sand Massauas zurück. Das Klima ist das Italiens, der Boden ausgezeichnet, und man könnte alle Reichtümer der Kolonien dahin verpflanzen. Die Bewohner sind edel und gastfreundlich, Christen durch Erinnerung und Gefühl, und einem würdigen Missionar sollte es möglich sein, ihnen die Lehren der christlichen Zivilisation zu spenden.
Mein Entschluß ist gefaßt; den Großteil meines von Dupont & Cie. ausbezahlten Gehalts habe ich heute früh angelegt in zwei Gewehren, reichlich |101| Munition und Sämereien für meine künftige Landwirtschaft.
Leb wohl! Laß die Familie wissen, daß sich meine Heimkehr um ein Jahr oder zwei verzögert. Ich überlasse es Deinem Geschick, daß Mutter sich nicht zu sehr grämt und sorgt.
Vergiß mich nicht und schreib recht bald nach Keren
Dein Bruder Werner
Und wieder begegnete ich dem großen Hippie Werni im Pissoir.
»Lange nicht mehr gesehen«, sagte er. »Krank gewesen?«
»Auf Reisen. In Afrika.«
»Ach ja? Wo?«
»Ägypten. Kairo.«
»So was.«
»Hm?«
»Scheint Mode zu sein.«
»Wieso?«
»Polja ist heute nachmittag nach Kairo geflogen.«
»Nein!«
»Doch. Will da jemanden besuchen. Hat ihre Harley in meiner Garage untergestellt. Nur für ein paar Tage, hat sie gesagt.«
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Keren, im März 1855, einen Tag nach Werner Munzingers Ankunft. Er erwacht, weil jemand an die Tür seines Hauses klopft. Werner besitzt jetzt sein erstes eigenes Haus – nur ein einfaches rundes Strohhaus zwar am Rande der Stadt, das nicht mehr als zwei Silbertaler gekostet hat – aber es gehört ihm.
». . . Munzinger?«
»Ja!« Werner öffnet die Tür. Draußen steht ein dürres Männchen. Es lacht, schlenkert mit den Armen und wackelt mit dem Kopf.
»Ist dies das Haus von Werner Munzinger?«
»Ja.«
»Abt Michael schickt mich.«
»Wer ist das?«
»Der Vorsteher des Klosters auf dem Berg Zad’-amba.«
»Du bist ein Mönch?«
»So ist es. Abt Michael schickt mich jeden Morgen früh hinaus, um bei frommen Bauern Speis und Trank zu erbitten. Denn unser Klostergärtchen ist klein und dürr, und die Wasserzisterne liegt acht Monate im Jahr trocken.«
»Tut mir leid. Ich habe nichts zu essen im Haus.«
»Das hat mir Abt Michael schon gesagt, Werner Munzinger. Du bist gestern angekommen mit zwei Gewehren, viel Munition und einem großen Sack |103|
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