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Munzinger Pascha

Munzinger Pascha

Titel: Munzinger Pascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Capus
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voller Silbertaler. Schöne, runde Maria-Theresien-Taler.«
    Werner gibt dem Mönch einen Silbertaler. »Abt Michael weiß viel über einen armen Fremdling, der auf der Suche nach einer neuen Heimat ist.«
    Der Mönch lächelt. »Abt Michael weiß noch mehr. Dein Maultier ist auf dem Weg von Massaua nach Keren dreimal ausgerutscht. Du bist verliebt in ein Bogos-Mädchen namens Oulette-Mariam. Du hast diese Nacht von deinem verstorbenen Vater geträumt. Und du bist ein aufrichtiger Mann, der lange im Bogos-Land bleiben wird.«
    »Oulette-Mariam . . .«
    »Abt Michael wünscht dich zu sehen. Er erwartet dich, wann immer du willst.« Und schon läuft der Mönch auf die Wiese hinaus und verschwindet im hohen Gras.
    Werner Munzinger blinzelt in die aufgehende Sonne. Oulette-Mariam. Er läßt den Namen auf der Zunge zergehen wie eine köstliche, fremdartige Speise. Oulette-Mariam   – das schmeckt nach Papaya, Ingwer und wilden Feigen, nach frisch gerösteten Kaffeebohnen und vergorener Kamelmilch. Werner schaut hinunter auf die Karawanenstraße, auf der Männer mit schwerbeladenen Kamelen zum Markt ziehen, Frauen ihre Tonkrüge zum Brunnen tragen und Kinder unter gewaltigen Bündeln von Brennholz nach Hause wanken. Dies ist sein erster Tag in Keren. Was soll er mit ihm anfangen? Hinunterlaufen zum Markt und Glasperlen gegen Straußenfedern tauschen, wie wenn er noch Angestellter wäre von Dupont & Cie? Ziellos durch die Stadt schlendern wie ein englischer |104| Vergnügungsreisender? Eine Steinmauer um den Garten bauen wie ein Deutscher und Unkraut jäten? Oder Oulette-Mariam aufsuchen und ihr ein Liebeslied singen? Vielleicht ein weniger blamables als letztes Mal?
    Werner setzt sich auf die Schwelle und lehnt sich an den Türpfosten. Er fährt mit dem Daumennagel über das verwitterte Holz; es entsteht eine schmale Kerbe, und irgendwie tröstet ihn das. Da taucht auf der Karawanenstraße im Gewimmel der Menschen und Kamele der Mönch vom Kloster Zad’amba auf und springt mit ein paar gewaltigen Sätzen zu Werner Munzinger zurück.
    »Bist du sehr beschäftigt?«
    »Nein.«
    »Abt Michael würde sich sehr über deinen Besuch freuen.«
    »Gehen wir.«
    Das dürre Männlein läuft auf und davon. Werner zieht in aller Eile seine Sandalen an und schließt das Haus ab, gerade bevor der Mönch am Horizont verschwindet. Wie ein verlorenes Büschel Baumwolle weht der weiße Umhang des Männleins über das hohe Gras, während Munzinger hinterherhetzt. Eine Stunde vergeht und eine zweite. Werner möchte schon längst eine Rast einlegen. Er winkt und ruft dem Mönch hinterher, aber immer läuft dieser unerreichbar weit voraus, hüpft hin und wieder auf der Stelle, um Werner etwas herankommen zu lassen und gleich wieder zu enteilen. Nach einer weiteren Stunde endlich läßt er sich von Werner einholen. »Wir sind da!«
    »Gott sei Dank! Wo ist das Kloster?«
    |105| »Dort«, sagt das Männlein und deutet ziemlich genau senkrecht in die Höhe. »Dort oben?«
    »Das ist der Berg Zad’amba. Dort erwartet dich Abt Michael.«
     
    Der Berg Zad’amba ist ein einziger, ungeheurer Felsblock, wohl
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Fuß über der Ebene von Shotel erhoben. Seine Wände fallen von allen Seiten spiegelglatt und senkrecht bis zur Ebene ab; nur von Westen her ist er mit Hülfe von Steinen und Geröll zugänglich, wenn auch nicht ohne Beschwerden. Einmal oben angelangt, ist der Wanderer aber noch nicht am Ende seiner Mühsal. Denn der Berg ist in der Mitte senkrecht gespalten, wie wenn vor Urzeiten ein gewaltiger Blitz eingeschlagen hätte. Vor den Füßen des Wanderers gähnt eine hundert Schritt breite und sechshundert Meter tiefe Schlucht, und das Kloster liegt auf der anderen Hälfte des Bergs. Miteinander verbunden sind die beiden Hälften durch ein senkrechtes Felsenband, das kaum
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Zoll breit ist. Mutige Leute setzen sich auf diesen schwindelerregenden Sattel wie auf ein Pferd und helfen sich hockend hinüber. Doch haben schon viele auf diesem Steg den Tod gefunden; denn ein einziger Blicknach rechts oder links in den unbegrenzten Abgrund reicht hin, Schwindel zu erzeugen. Das Kloster ist von fünf oder sechs abessinischen Mönchen bewohnt, die mit den Schrecken dieser wahrhaften Einsiedelei den Himmel zu verdienen hoffen.
     
    Schweißüberströmt und erschöpft vom Aufstieg steht Werner am Abgrund und verfolgt entsetzt, wie das Männlein leichthin über das schmale Felsband hüpft, |106| zurückschaut und ihm zuwinkt. »Komm, Werner Munzinger!«

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