Munzinger Pascha
Dattelpalme sah. Wir waren im Sterberegister für hohe Staatsangestellte.
Alle vier Wände waren bedeckt mit Regalen, in denen riesige, altersbraune Bücher standen. Im Zimmer selbst gab es neun Tische, an denen neun Männer |85| saßen. Acht von ihnen schliefen, die Köpfe sanft auf ihre Unterarme gebettet. Die Tische und die Männer und die Bücher waren mit feinem Wüstenstaub bedeckt, den der Wind zum Fenster hereingeblasen hatte. Aber der neunte Mann war wach. Er ließ sich von Assem meine Geschichte erzählen, nickte bedächtig, stand auf und weckte den Mann, der ihm am nächsten saß. Der ging zu einem Regal, zog ein Buch heraus und kehrte zurück. Er sagte etwas zu Assem, und Assem fragte mich: »What was the man’s name?«
»Munzinger.«
»«, fragte der Mann.
»Mun-zin-ger.«
»«
»Mun . . .«
». . .«
». . . zin . . .«
». . .. . .«
». . .ger.«
». . . «
»Munzinger.«
»«
Der Mann lachte, Assem und ich lachten auch, dann blätterte der Mann in seinem Buch. Halblaut murmelnd fuhr er mit dem Finger die Spalten entlang, Seite um Seite blätterte er um. Assem und ich setzten uns an den Tisch. Die Minuten und Viertelstunden vergingen. Der Wüstenwind machte sich sachte daran, Assem und mich mit Wüstensand zuzudecken. Ich polierte mit den Unterarmen eine Ecke des Tischs, lauschte dem Gemurmel des Beamten und verfiel in angenehme Schläfrigkeit, bis ein Außenposten meines |86| Bewußtseins Alarm schlug. Im arabischen Singsang des Sterberegisterbeamten waren vertraute Laute aufgetaucht.
». . .«
». . . singer?« wiederholte ich. »Mun-singer?«
»«
»Munzinger!«
Der Sterberegisterbeamte lachte, und Assem und ich lachten auch. Ich notierte Werner Munzingers Registernummer. Unter dieser Nummer verwahrte der ägyptische Staat am entgegengesetzten Ende der Stadt seit hundertzwanzig Jahren den Briefwechsel zwischen Werner Munzinger Pascha und dem Khediven Ismail.
|87| 17
Massaua, im Mai 1854. »Ich brauche Elfenbein!« Nervös läuft Werner Munzinger im Lagerhaus hin und her. »Mohammed! Wo bleiben die Karawanen? Ich brauche Elfenbein, Straußenfedern, Leopardenfelle!«
Mohammed sitzt dick und schwer auf seinem Teppich und folgt mit den Augen diesem nervösen Christenkind, das seit ein paar Monaten hiesiger Repräsentant von Dupont & Cie. und sein Vorgesetzter ist. Mohammed ist zu lange im Geschäft, als daß ihn ein paar verspätete Karawanen aus der Ruhe bringen könnten. »Geduld, Werner. Die Karawanen werden schon kommen. Sie kommen seit tausend Jahren – da werden sie nicht ausgerechnet jetzt ausbleiben.«
»Aber ich kann nicht warten! In einer Woche kommt das Frachtschiff, um Waren für Frankreich aufzunehmen. Und meine Regale sind leer!«
»Dann fährt das Schiff eben ohne Leopardenfelle und kommt später wieder. Monsieur Dupont wird’s überleben.«
»Monsieur Dupont schon, aber wir beide nicht! Monsieur Dupont hat mich wissen lassen, daß Massaua schlecht geführt ist und sich nicht rentiert. Unsere Niederlassung wird liquidiert, wenn keine Besserung eintritt!«
»Hat er das geschrieben?«
»Ja.«
|88| Mohammed kneift seine Äuglein zusammen und streicht sich übers runde Kinn. »Dann müssen wir laufen, Werner.«
»Wohin?«
»In die Berge, nach Keren im Land der Bogos, wo die Karawanenstraßen des Sudans und Abessiniens aufeinandertreffen. Das ist zwar ein elendes Kaff, und die Bogos sind schreckliche Bauerntrampel, aber es gibt dort einen großen Markt. Gut möglich, daß wir da finden, was wir brauchen.«
»Wie weit ist das?«
»Fünfunddreißig Stunden. Fünf Tagesmärsche für einen Maulesel.«
In der brüllenden Hitze des nächsten Sonnenaufgangs stehen Werner und Mohammed am dampfend heißen Meeresufer, vier Maulesel vollbepackt mit Glasperlen, Manchester-Stoffballen, billigen Messern und Silbermünzen. Die sanften Wellen des hitzegeplätteten Wassers gehen unmerklich über in die weißglühenden Wellen des Sandstrandes. Dahinter erheben sich golden weiche Dünen, weiter landeinwärts rotgebrannte Hügel. Darüber türmen sich in bizarrem Violett die ersten Berge, und ganz zuhinterst, wo sich der Himmel der Erde zuneigt, verschwimmt im Dunst hellblau und furchterregend das abessinische Hochgebirge.
Den ersten Tag führt die tausendjährige Karawanenstraße Werner und Mohammed durch die Wüste. Nur die zähesten Dornensträucher überleben in diesem salzverkrusteten Boden, der so nackt und tot daliegt, als wären die Wasser des Roten Meeres erst
Weitere Kostenlose Bücher