Munzinger Pascha
bist der tapferste Krieger des Dorfes. Bitte sag es mir!‹«
Abt Michael nimmt noch einmal einen großen Schluck Honigwein.
|109| »Was sollte ich machen? Natürlich hatte sie recht: Ich wußte, daß mich die Angst nicht mehr verlassen würde.«
Noch einmal wandert der magische Krug unter Abt Michaels Adlernase.
»Und?«
»Als Ehrenmann habe ich ehrlich geantwortet. ›Es tut mir leid‹, rief ich. ›Ich werde niemals wieder zu dir kommen.‹ Da sank sie zu Boden und brach in Schluchzen aus. Nach einiger Zeit faßte sie sich, stand auf und sagte: ›In dem Fall gehe ich jetzt und komme nie wieder. Drei Monate werde ich um dich trauern. Dann aber werde ich den zweittapfersten Krieger unseres Dorfes heiraten.‹ Und als sie weg war, lief ich zur Kirche und bat Abt Jonas, meinen Amtsvorgänger, um Aufnahme ins Kloster.«
Werner Munzinger streckt den Arm nach dem Honigwein aus, und Abt Michael reicht ihm den Krug. Der ist immer noch halbvoll. Wunderbare Honigweinvermehrung auf dem Berg Zad’amba.
»Du möchtest nicht etwa um Aufnahme ins Kloster bitten?«
Werner schüttelt den Kopf.
»Dann brich sofort auf. Du mußt es gleich im ersten Versuch schaffen.«
Werner runzelt die Stirn.
»Ich habe in den letzten fünfzehn Jahren viel darüber nachgedacht. Es gibt nur eine Lösung: verbundene Augen.«
»Was?«
»Du mußt dir die Augen verbinden. Und rutsch nicht auf dem Hintern hinüber. Geh aufrecht.«
|110| »Aber verzeiht, verehrter Abt, Ihr wollt mich wohl ins Verderben stürzen!«
»Auf der Brücke gibt es keinen Stolperstein, keine Kurve und keine Stufe, und der Weg ist breiter als deine beiden Füße. Du mußt nur geradeaus gehen. Was brauchst du da deine Augen? Solange du nichts siehst, kannst du auch die Gefahr nicht sehen, und nichts kann dir passieren.«
Werner wiegt nachdenklich den Kopf. »Aber hinsetzen möchte ich mich doch.«
»Ein mutiger Mann geht aufrecht, Werner Munzinger. Der rutscht nicht auf dem Hintern herum.«
Werner Munzinger zieht seine Sandalen aus, damit die nackten Füße den Weg fühlen können, und läßt sich die Augen verbinden. Zum Abschied raunt Abt Michael ihm ins Ohr: »Denk an Oulette-Mariam! Du wirst sie heiraten!«
|111| 20
Keren, 3. April 1856. Wie jeden Tag ziehen im Licht der aufgehenden Sonne die Kamelkarawanen zum Marktplatz im ausgetrockneten Flußbett. Da schreit ein Kind, dort kocht eine Frau vor ihrer Haustür Tee an einem kleinen Feuer und irgendwo streiten zwei Männer über irgendeinen Unsinn – vielleicht über die Frage, ob das Gras wirklich grün ist oder bloß so aussieht. Alles ist wie im Jahr zuvor, außer daß jetzt anstelle von Werner Munzingers Strohhaus ein einstöckiges Steinhaus steht. Eine mannshohe Steinmauer zieht sich um Hof und Haus und Garten, und ein gefährlich aussehender Hund stellt sich schlafend im Schatten des Steinhauses. Nach mehreren nächtlichen Besuchen hat Werner eingesehen, daß er seine Silbertaler, die er als Fremder zum Überleben braucht, schützen muß.
Ist Werner überhaupt zu Hause? Die Tür ist fest verschlossen, die Feuerstelle kalt, das Maultier hat sich losgerissen und frißt Salat im Garten.
»Wach auf, Werner Munzinger! Heute ist ein großer Tag für dich!« Das Männlein ist noch aufgeregter als gewöhnlich. Es wieselt vor der Tür hin und her und klopft und ruft, bis die Tür aufgeht und Werner mit verklebten Augen ins Tageslicht blinzelt.
»Ein Freudentag! Wasch dich! Mach dich schön! Zieh deine feinsten Kleider an! Rasier dich!«
|112| Werner brummt. »Ich rasiere mich nie. Die paar Härchen lohnen die Mühe nicht.«
Der Mönch schaut Werner streng ins Gesicht, dann schlägt er ihm die Faust vor die Brust. »Honigwein! Du stinkst nach gestrigem Honigwein! Das ist nicht gut.«
»Laß mich in Ruhe. Die Abende sind lang, wenn man allein ist.«
Das Männchen drängt Werner ins Haus. »Da hast du recht, vollkommen recht. Zeig mir deine Kleider. Ich such dir etwas aus. Hast du zwei Ziegenhäute?«
»Ziegenhäute?«
»Die füllen wir mit Milch und schicken sie Oulette-Mariams Mutter. Du bist verlobt, ich gratuliere!«
»Ziegenhäute?«
»Verlaß dich auf mich. Du hast doch deine Silbertaler noch?«
»Ziegenhäute?«
»Es ging leichter, als ich gedacht habe – zum Glück ist Oulette-Mariam Witwe und keine Jungfrau mehr. Das hat die Verhandlungen wesentlich vereinfacht. Heute morgen verlobst du dich, und am Abend bist du verheiratet.«
»Ziegenhäute?«
»Zwei Ziegenhäute, du
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