Munzinger Pascha
Hügelzug liegt. In der Mittagshitze reiten sie eine Geröllhalde hoch, kommen auf der Krete an, schauen hinunter auf die Bucht. Im stillen Wasser liegen dick und träg an die fünfzig Dampfschiffe. Grellrote Bojen markieren die Fahrrinne. Am Strand, der bisher ganz den Muscheln und Krabben gehörte, stehen zwei transportable Leuchttürme und nagelneue Landedocks, an denen die Dampfer einer nach dem andern anlegen. Aus den Bäuchen der Schiffe quellen Soldaten, dann Pferde und Elefanten, Kamele und Kanonen, Branntweinfässer und Mehlsäcke. Werner ist fassungslos.
»Was soll das! Wollen Sie ganz Abessinien erobern?«
Der Schnurrbart lächelt. »Nur keine Angst. Wenn der Feldzug vorbei ist, verladen wir das alles wieder auf unsere Schiffe und fahren zurück nach Indien.«
In der einst stillen Bucht entsteht eine Garnisonsstadt; die Soldaten rammen Zeltstangen in den Wüstensand, fliegende Tabak- und Schnapshändler bauen behelfsmäßige Kioske, und niemand weiß, woher die bunt geschminkten Damen kommen, die in dem Zelt dort hinten wohnen und frech den vorbeischlendernden Offizieren zuzwinkern. Nah am Strand bauen britische Techniker gewaltige Wasserentsalzungsanlagen, die täglich 190 000 Liter Trinkwasser liefern; weiter gegen die Berge zu verlegen Arbeiter dreißig Kilometer Schienen für die Dampflokomotive, |169| die geduldig bei den Docks wartet, und parallel dazu wird ein Telegrafendraht landeinwärts gezogen. Werner bezieht gottergeben das Zelt, das neben dem Hauptquartier des Marschalls für ihn bereitsteht.
Am Nachmittag schickt Marschall Napier Meldeläufer ins Landesinnere, um Flugblätter an die Bevölkerung zu verteilen. Munzinger läßt sich ein Blatt geben und liest:
An die Gouverneure, an die Häuptlinge, an die religiösen Orden, an das Volkvon Abessinien!
Ihr müßt wissen, daß Theodoros, der Kaiser der Abessinier, den britischen Consul Cameron und viele andere unter Bruch des Rechts aller zivilisierten Nationen gefangenhält. Mit freundlichen Worten gelang es nicht, die Freilassung zu erwirken. Deshalb hat meine Königin mir den Auftrag gegeben, mit meiner Armee einzuschreiten. Jeder, der zu den Gefangenen freundlich ist und der bei ihrer Befreiung hilft, soll belohnt werden. Jeder, der ihnen Leid zufügt, soll bestraft werden. Volkvon Abessinien denke daran, daß die Königin von England nicht unfreundlich gesinnt ist gegenüber den Menschen dieses Landes. Personen, Eigentum und religiöse Einrichtungen werden geschützt. Was die Armee verbraucht, wird auch bezahlt. Wir haben nicht die Absicht, irgendeinen Teil dieses Landes für immer zu besetzen. Wir beabsichtigen in keiner Weise, die Regierungshoheit Abessiniens zu verletzen.
Gezeichnet: Sir Robert Napier, Commandant der britischen Truppen in Abessinien
|170| Zehn Tage später sind die Bäuche der Dampfschiffe leer, die Landung ist abgeschlossen. Über den Talboden verstreut sucht eine ansehnliche Herde die kargen Büsche nach eßbarem Grünzeug ab. Es sind 2588 Pferde, 44 Elefanten, 16 022 Maultiere, 5735 Kamele, 7071 Rinder, 1759 Esel, 1651 Ponys und 12 839 Ziegen. Die Garnisonsstadt zählt 41 004 Einwohner. Nur 14 217 Mann gehören zur kämpfenden Truppe; die übrigen sind Straßenbauer, Viehtreiber, Metzger, Köche, Magaziner, Eisenbahner sowie Militärattachés und Journalisten aus aller Herren Länder.
Am Morgen des 4. Februar 1868 setzt sich die Armee auf der eigens erbauten Heeresstraße in Bewegung. Allen voran reitet Werner Munzinger auf seinem Maultier, gefolgt von Marschall Napier und seinen Offizieren; dahinter die Kavallerie vor den Fußsoldaten und den Elefanten, welche die Kanonen die Berge hochschleppen; den Abschluß bilden die Lasttiere und das Schlachtvieh.
Kilometerweit erstreckt sich der Troß; gemächlich zieht er durch die Wüste, weg vom Meer und hoch in die Berge. Die Dörfer, an denen man vorbeikommt, sind menschenleer, denn die Bauern sind samt ihren Herden und Familien geflohen; sie wissen aus tausendjähriger Erfahrung, daß noch nie ein Soldat etwas Gutes in ein Bauerndorf gebracht hat.
Marschall Napier ist sehr zufrieden. »Klappt alles wie am Schnürchen. Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß wir bestens vorbereitet sind?«
»Das haben Sie, mein Marschall.«
Der Marschall nickt zufrieden. »Hoffen wir, daß Ihre Diplomatie genauso erfolgreich ist. Wie hieß |171| noch mal der Mann, den Sie kürzlich besucht haben?«
»Fürst Kassai von Tigre.
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