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Munzinger Pascha

Munzinger Pascha

Titel: Munzinger Pascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Capus
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Profite des vergangenen Jahres ein. Dann fährt er mit dem Postschiff auf dem Roten Meer nordwärts. Die arabische Halbinsel zieht vorüber und dann der Sinai, und Werner denkt mit Wehmut an den griechischen Mönch im Palmenwäldchen des Katharinenklosters. Neun Jahre sind vergangen seit der wortlosen Begegnung der zwei Jünglinge. Werner ist jetzt groß und schwer, sein vormals mädchenhaft weiches Gesicht ist narbig, stoppelig und kantig geworden. Und der junge Grieche? Hat er sich sein ereignisloses Idyll bewahren können? Ist nie eine Katastrophe über ihn hereingebrochen, die ihm das glatte Gesicht umgepflügt hätte? Das Postschiff zieht vorbei am Sinai und legt in Suez an. Werner besteigt den Zug nach Kairo, übernachtet in derselben Herberge wie vor zehn Jahren, folgt weiter seiner eigenen Spur nordwestwärts nach Alexandria, übers Mittelmeer zurück nach Europa.
    |158| Am 19.   Februar 1863 geht er in dichtem Schneegestöber in Triest an Land; auf der Überfahrt hat er sich eine üble Erkältung zugezogen. Mit triefender Nase und rasselnden Bronchien läuft er an den Piers vorbei zum Bahnhof. Werner staunt: In seiner zwölfjährigen Abwesenheit ist Europa überzogen worden mit einem blitzblanken Netz stahlharter Eisenbahnschienen; sogar in Olten hat man scheint’s einen Bahnhof gebaut. Der Bahnhofsvorstand pfeift, der Schaffner schließt die Türen, die Lok zieht an, der Zug verläßt den Bahnhof von Triest   – und wenn es dem Leser genehm ist, lassen wir Werner allein auf dessen erster Bahnfahrt, setzen uns hier in ein Kaffeehaus und warten auf seine Rückkehr. Werner wird über Wien, München und Zürich nach Olten fahren, sein Heimatstädtchen neu entdecken, das dank der Eisenbahn blüht und wächst wie eine Goldgräberstadt. Er wird zum Grab des Vaters gehen und zu jenem der inzwischen verstorbenen Mutter; er wird Professor Walther Munzinger in Bern besuchen, der an einem einheitlichen Obligationenrecht für die junge Nation arbeitet, eine stattliche Villa bewohnt und im übrigen sehr verliebt zu sein scheint in seine bezaubernde Marie. Werner wird vor der Landesregierung Rechenschaft ablegen über die Verwendung der 5000   Franken für die Vogel-Expedition, und er wird Freunde und vertraute Kneipen besuchen. Viele alte Bekannte werden ihn nicht erkennen und grußlos an ihm vorbeigehen, andere ihm auf die Schulter klopfen und irgendwas von früher erzählen.
    |159| Solothurn, 23.   Oktober 1863
    Lieber Walther!
    Ich verreise also Montag, den 26
.
, morgens um 5.30 direkt über Olten, Basel. Es thut mir sehr leid, daß ich Euch nicht für länger sehen konnte, aber meine Geschäfte rufen mich fort. Meine besten Wünsche an Deine Gattin Marie; sie ist wirklich reizend und würde sich bestimmt gut mit meiner Oulette-Mariam verstehen. Vielleicht besuchen wir Euch das nächste Mal gemeinsam, oder Ihr beide kommt zu uns nach dem dunklen Afrika; bis dahin verbleibe ich immer Dein treuer Bruder
    Werner Munzinger
     
    PS: Ich wünsche incognito, also so still als möglich, zu reisen; der Abschied ist so schon nicht angenehm.

|160| 28
    Massaua, 28.   April 1865
    Lieber Walther!
    Schon sind anderthalb Jahre seit meinem Besuch in der Heimat vergangen, und ich kann kaum glauben, daß keiner meiner Briefe angekommen ist. Wohl weiß ich um die Gefahren, die unterwegs lauern: Ein Kamel frißt das wehrlose Stück Papier; ein Matrose läßt den Postsack ins Meer fallen; das Postschiff sinkt, wird von Piraten überfallen et cetera. Deine lieben Briefe hingegen haben mich erreicht, und zwar ausnahmslos alle, soweit ich das überblicke. Mit großem Vergnügen nehme ich wahr, daß Du Dich immer wohl befindest und imstande bist, in dieser schäbigen, neidigen Welt Deinen guten Humor zu bewahren.
    Ich habe inzwischen das unruhige Leben eines Handelsreisenden geführt. Anfang November 1863 in Alexandria angekommen, den 5.   Dezember von Suez fort, den 2.   Januar 1864 wieder einmal in Massaua gestrandet. Zwei Tage später bin ich im Auftrag der Zürcher Handelsfirma Koller, Nägeli & Cie. nach Keren weitergezogen, wo mich meine liebe Gattin erwartete. Am 5.   Februar ging’s wieder weiter nach Kassala und Gallabat, fast zweihundert Stunden weg von hier. Ende Juni war ich wieder zurück, vollbeladen mit Leopardenfellen |161| und Elfenbein. Da mein Magazin noch nicht ganz bis unters Dach gefüllt war, unternahm ich vom 17.   Juli bis 7.   August einen zweiten Gang nach Keren. Während ich aber die Regenzeit in

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