Munzinger Pascha
nirgends an. Wir bogen in die Kantonsstraße ein, die südwärts aus dem Städtchen hinausführte. Schon bald brachen die Häuserzeilen ab und gaben den Blick frei auf die Wiesen und Wälder, die wir gemeinsam durchqueren würden.
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Kairo, 24. November 1875
Mein lieber Werner Munzinger Pascha!
Ich hoffe, daß dieser Brief Sie in Aussa erreicht. Es hat sich ein unglücklicher Zwischenfall ereignet, welcher die Völker Abessiniens feindlich gegen Sie stimmen könnte. Ich bitte Sie dringend, sich mit Ihren Soldaten an einem Ort festzusetzen, der leicht zu verteidigen ist.
Gemäß meinen Anordnungen haben Sie vor Ihrer Abreise aus Massaua das militärische Kommando über die zurückbleibenden Truppen Ihrem Stellvertreter Arakel Bey übergeben.
Statt aber nur die Grenze zu sichern, hat sich dieser mit einem viel zu kleinen Trupp von tausend Mann ins Innere Abessiniens vorgewagt und ist bei Ghundet am Fluß Mareb auf die Armee des Kaisers Johannes gestoßen. In einer elfstündigen Schlacht wurden unsere zehn Compagnien vollständig aufgerieben. Arakel Bey selbst und die meisten Offiziere sind gefallen, nur einige wenige Soldaten schafften den Rückzug nach Massaua.
Seien Sie versichert, daß es zu einer Revanche kommen wird. Aber bis das Ansehen der ägyptischen Armee wiederhergestellt ist, müssen Sie sehr vorsichtig sein.
|204| Ich verbleibe mit den besten Wünschen für Sie, mein lieber Pascha.
Ismail
PS: Ich denke, daß der Moment ungünstig wäre für Verhandlungen mit Fürst Menelik. Warten wir günstigere Zeiten ab – es sei denn, Menelik würde von sich aus auf uns zukommen.
Der Brief erreicht Werner Munzinger Pascha nicht mehr. Die Karawanenstraße führt über Vulkangeröll durch die entsetzlich heiße Adajalwüste. Munzinger merkt, daß er den ersten großen Fehler seines Lebens gemacht hat: Die Vorräte an Wasser, Käse und Biskuits sind für zehn Tage berechnet, und die Truppe ist schon zwölf Tage unterwegs. Am dreizehnten Tag werden drei Kamele geschlachtet, am vierzehnten Tag fünf, am fünfzehnten zehn, und erst am Abend des siebzehnten Tages erreicht die Karawane völlig entkräftet das waldige Ufer des Sees von Aussa. Und während Mensch und Tier ans Wasser stürzen und trinken bis zum Erbrechen, tritt ein vornehmer junger Mann aus dem Unterholz. Es ist der Sohn von Scheich Mohammed Lebeda, dem Häuptling von Aussa. Im Namen seines Vaters heißt er Werner Munzinger willkommen. Werner schenkt ihm einen Mantel, einen Säbel und einen Lederbeutel voller Maria-Theresien-Taler und bittet ihn, Lebensmittel herbeizuschaffen. Der Jüngling verschwindet wieder im Unterholz. Werner läßt das Lager herrichten und legt sich im Zelt an Oulette-Mariams Seite schlafen. Was in jener Nacht geschieht, berichtet drei Wochen später ein Diener Munzingers, |205| dem die Flucht nach Kairo gelingt. Eduard Dor notiert:
Die Nacht verlief ruhig, bis der Mond untergegangen war; ein Posten wachte. Gegen zwei Uhr morgens kamen zwei Eingeborene mit einem Ochsen und einer Kuh und wollten ins Lager, angeblich, um das Vieh zu verkaufen. Die Wache hielt sie zurück und band sie am Fahrgestell einer Kanone fest. Die Eingeborenen schrien und riefen. Plötzlich stürzen von allen Seiten wie auf ein Signal Tausende von Callas herbei. Alarm wird geblasen. Der Angriff ist so schnell und massiv, daß die Soldaten fliehen müssen. Herr Munzinger Pascha steht an der Spitze der Compagnie mit den zwei Kanonen, von denen aber nur eine zum Schuß kommt, und auch die nur einmal. Die Linie ist durchbrochen. Munzinger Pascha, von seiner Leibwache bis auf drei Sudan-Soldaten entblößt, bleibt bei den Kanonen, er selbst feuert einen Gewehrschuß und drei Revolverschüsse ab. Die Eingeborenen, mit Lanzen und Säbeln bewaffnet, umringen ihn, die drei Sudan-Soldaten fallen und Munzinger Pascha wird tödlich verwundet. Ein Säbelhieb zerschmettert den linken Schulterknochen, ein zweiter die obere Hirnschale, ein Lanzenstich trifft ihn in die rechte Brustseite, ein anderer ins Genick. Im ganzen erhält er zehn Wunden.
Während das Gemetzel die ganze Nacht fortdauert, kann man den Verwundeten dem Gemenge entreißen und ihn so verbergen, daß er bis Sonnenaufgang unbemerkt bleibt. Oulette-Mariam wird im Zelt überfallen und erhält drei Lanzenstiche; sie wird im Verlauf der Nacht in das Versteckihres Mannes gebracht.
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Um acht Uhr früh versuchten die überlebenden Soldaten, die Verwundeten fortzuschaffen, doch
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