Murray, Paul
schaute
ich Mrs P an. Doch deren Augen waren diskret zu Boden gerichtet. »Nun gut«,
sagte ich und richtete mich zu voller Größe auf. »Mrs P, meinen Mantel, bitte.«
Mrs P ging
meinen Mantel holen. Der tiefschwarze Blick, mit dem Bel mich weiter fixierte,
hätte gut in den Ring der Nibelungen gepasst.
Ich hütete mich davor, Streit anzufangen. Stattdessen wartete ich auf meinen
Mantel, schritt dann, vorbei an dem mir bösartig zuzwinkernden Rollstuhl, ohne
Tamtam oder auch nur einen einzigen Blick zurück, in würdiger Haltung durch die
Halle und zur Tür hinaus.
Doch dann
blieb ich stehen. Hinter mir fiel die Tür ins Schloss, und eine Zeit lang stand
ich noch auf der obersten Stufe. Im Osten murmelte unsichtbar die See, der
Nebel wirbelte in Fetzen über den Rasen, und ich stand da und starrte ins
Nichts.
Nachdem
ihre Tochter Daria im Heim verschwunden war, begann Genes langer Absturz. Ihre
Ehe mit Cassini war endgültig gescheitert. Zahlreiche bemerkenswerte Männer
machten ihr den Hof und eroberten sie. John F Kennedy besuchte sie auf dem Set
von Dragonwyck. Er war gerade aus dem Südpazifik
zurückgekehrt, noch mager nach den Aufenthalten in diversen Marinekrankenhäusern,
wo er nach der Versenkung des von ihm befehligten Schnellboots PT 109
behandelt worden war. Er stand kurz vor seiner Kandidatur für den Kongress. Sie
verliebte sich sofort in ihn. Sie hatten beide irische Vorfahren, und ihre
erste Verabredung hatten sie am St. Patrick's Day, als er sie in New York zum
Lunch ausführte. JFK trug einen neuen Hut, den er später am Abend in einer Bar
liegen ließ. So sehr die Hutmacher der Nation auch bettelten, er trug nie
wieder einen, und so begann der Hut langsam aus dem amerikanischen Leben zu
verschwinden.
Mit
Unterbrechungen traf sie ihn fast ein Jahr lang, bis er ihr schließlich sagte -
beiläufig, während sie beim Lunch auf Freunde warteten -, dass er sie nie würde
heiraten können. Sie hätte es wissen müssen. Er hatte an seine politische
Karriere zu denken, und seine Mutter hätte einer Ehe mit einer geschiedenen
Frau, die noch dazu Schauspielerin und Episkopalistin war, nie zugestimmt. Sie
suchte Trost in einer sich lang hinziehenden, absurden Affäre mit Aly Khan,
dem Sohn des Aga Khan, den sie während der Dreharbeiten zu Way of a
Gaucho in Argentinien kennen gelernt hatte. Er war gerade von
Rita Hayworth geschieden worden, und mit ihm tauchte sie in das stürmische
Glitzerleben des Jetset ein, mit Poloturnieren, Kreuzfahrten, Partys mit
Picasso an der Riviera- ein Leben des Müßiggangs im grellen Licht der Medien
und Klatschspalten.
Schwer zu
sagen, wann genau Genes Leben auseinander zu brechen begann. Am Tag ihrer
Ankunft in Hollywood hatte sie Magenkrämpfe bekommen, die erst wieder
verschwanden, als sie vierzehn Jahre später Hollywood endgültig den Rücken
kehrte. Während der Arbeiten zu ihrem vierten Film, Belle
Starr, litt sie unter unerklärlichen Augenschmerzen. Die
angeschwollenen Augen brannten so stark, dass die Dreharbeiten für mehrere
Tage unterbrochen werden mussten. (Cassini besuchte sie in ihrem Wohnwagen,
küsste sie auf die grässlich entzündeten Augenlider und versicherte ihr, dass
sie für ihn immer noch wunderschön sei; damals sei sie sich zum ersten Mal
sicher gewesen, sagte sie später, dass er sie wirklich liebte.) Die Menschen,
die sie gut kannten, wussten, dass die Beziehung zu Aly Khan ein Symptom für
ihren aus dem Lot geratenen Geisteszustand war.
Sie hatte
zunehmend Schwierigkeiten, ihren Text zu behalten. Das hatte es früher nie gegeben.
Sie hatte sich nie Illusionen über ihr Schauspieltalent gemacht, aber ihren
Text hatte sie immer beherrscht. Sie behauptete sogar, dass sie sich am
wohlsten fühle, wenn sie eine Rolle spiele, dass ihre Probleme erst dann
anfingen, wenn sie sie selbst sein müsse. Am Set war sie jetzt aggressiv und
rechthaberisch. Ihre Stimmung schwankte heftig, von langen Spannen totaler
Lethargie bis zu kurzen Anfällen hyperrealer Bewusstseinsschärfe; einmal sagte
sie, sie habe in einer Glühbirne Gott gesehen.
Ihr letzter
Film vor dem Zusammenbruch war The Left Hand of God mit
Humphrey Bogart. Bogeys Schwester war geisteskrank gewesen; er kannte die
Anzeichen. Er sagte den Studios, dass Gene Hilfe brauche. Sie versicherten ihm,
dass sie eine so altgediente Schauspielerin wie Gene Tierney nie fallen lassen
würden - nicht bei einem Film, der so teuer sei wie dieser.
Es war
Bogeys Liebenswürdigkeit, die sie durch den
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