Murray, Paul
so was schon mal gemacht, oder?«, sagte ich. »Da
weiß sie doch wahrscheinlich, wie so was abläuft, das meine ich.«
»Zumindest
tut sie so«, sagte Bel eisig.
»Was soll
das jetzt wieder heißen?«
Bel öffnete
den Mund, schloss ihn, öffnete ihn wieder. »Das soll heißen, dass sie
daherkommt wie die große Schauspielerin, die alles schon mal mitgemacht hat,
aber in Wahrheit ist sie ein großes Nichts ohne die geringsten eigenen Gefühle.
Ich meine, was macht sie denn? Sie läuft rum und erzählt den Leuten, was sie
hören wollen, damit alles nur nach ihrem Kopf geht. Wenn du mich fragst, ist
die Nummer inzwischen ziemlich ermüdend...«
Ich
verglich die Mirela, die Bel mir präsentierte, mit der empfindsamen, Finger
drückenden Vielleicht-können-wir-ja-später-noch-reden-Mirell, der ich
auf der Treppe begegnet war. Es war schmerzlich klar, dass Bels Version nicht
zu halten war. »Das ist Unfug«, sagte ich.
»Ist es
nicht«, sagte Bel gereizt und trat mit dem Fuß gegen das Bücherregal.
»Was tut
sie denn, das so schlimm ist? Sag mir ein Beispiel dafür, dass sie ein Nichts
ist und wo es nach ihrem Kopf gegangen ist.«
Aus der
Ecke, in die sich Bel und ihre umwölkte Stirn zurückgezogen hatten, kam
brummelnd etwas darüber, dass sie sich ihre Klamotten ausborge, ohne zu fragen.
»Aah, sie
borgt sich deine Klamotten aus!«, sagte ich höhnisch. Ich musterte sie von oben
bis unten; sie blickte finster drein und zupfte und zog zwanghaft an ihrem
Anhänger. »Du weißt selbst, dass du dich äußerst seltsam aufführst.«
Bel rümpfte
die Nase und schaute dann auf den Boden.
»Es läuft
doch nichts schief im Moment, oder? Diese Geschichte mit Harry, ist das etwa
in die Hose gegangen?«
»O mein
Gott«, rief sie aus, stampfte zum Bett und nahm mir das
Manuskript wieder weg. »Ist dir jemals in den Sinn gekommen, Charles, dass ich
hin und wieder Probleme haben könnte, die nichts mit Männern zu tun haben?«
»Ich frag
ja nur«, sagte ich. »Ich stell ja nur sicher, dass alle auch alles genau
bedenken und niemand sich irgendwelche Freiheiten herausnimmt...«
»Fällt es
dir so schwer zu glauben, dass jemand mit mir zusammen sein will ohne irgendein
anderweitiges Motiv - wie Möbel klauen oder auf dein Zimmer spekulieren?«
»Nein,
nein, natürlich nicht«, sagte ich. »Obwohl, wenn wir schon beim Thema sind,
möchte ich dich doch darauf hinweisen, dass wir immer noch ein Abkommen haben.
Wahrscheinlich ist es dir schon wieder entfallen, aber du hast dich für den
Fall der Trennung von Frank, der ja nun tragischerweise eingetreten ist, bereit
erklärt...«
»Was riecht da, Charles?«
»Wie, was riecht da?«, sagte ich.
»Lenk nicht vom Thema ab.«
»Es riecht penetrant nach Marzipan«,
sagte sie schnüffelnd.
»Ich rieche nichts.«
»Das kommt von dir.«
»Ach das«, sagte ich. »Das kommt
von den Christstollen.«
»Christstollen?«
»Der
Geruch geht einfach nicht weg«, sagte ich bekümmert. »Nicht mal beim Duschen.«
Das
düstere Brüten wurde schlagartig von dröhnendem, undamenhaftem Gelächter
abgelöst. Wenn ich ein bisschen aufmerksamer gewesen wäre, hätte ich
möglicherweise diesen Übergang als zu schnell erkannt. Mir wäre möglicherweise
das unangenehm Schrille an der ihr eigenen Schadenfreude aufgefallen. Aber ich
war zu sehr damit beschäftigt, mich zu ärgern. Marzipangeruch war ein Thema,
das von den Beschäftigten in Veredelungsbereich B sehr ernst genommen wurde.
Es hatte Attacken von hungrigen, in Rudeln umherstreifenden Hunden gegeben. Ich
erzählte ihr davon, doch das machte es nur noch schlimmer. Sie bog sich
buchstäblich vor Lachen.
»Das ist
nicht lustig«, sagte ich nachdrücklich. »Für euch in eurem Elfenbeinturm, mit
euren Theaterstücken ist ja alles bestens. Aber wir armen Trottel in den
Schützengräben müssen uns mit solchen Sachen jeden Tag herumschlagen. In
Wahrheit sind umherstreifende Hunde nur die Spitze des Eisbergs.«
»Dass ich
den Tag erlebe, an dem du mir sagst, ich würde im Elfenbeinturm leben, das
hätte ich nie gedacht«, sagte Bel glucksend und massierte sich den Bauch.
»Aber es stimmt«, sagte ich
scheinheilig. Ich ließ das Abkommen erst mal beiseite, weil ich meine Chance
auf Rache für all die Moralpredigten erkannte, die sie mir über die Jahre
gehalten hatten. »Für euch ist das alles ziemlich einfach. Aber für den
arbeitenden Menschen ist das kein Zuckerschlecken, das kann ich dir sagen.
Vor allem, wenn man sich als Erstes, kaum
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