Murray, Paul
beschissene Haus hier, mit dir herumschleppst,
in deinem Innern. Du lässt keinen anderen rein, und du hast keinen Schimmer
davon, wie das Leben für die Leute draußen aussieht. Du jammerst, weil du
arbeiten musst, aber wenigstens hast du Arbeit.
Hast du jemals daran gedacht, wie das für Vuk und Zoran ist, die gar nicht
arbeiten dürfen? Hast du jemals daran gedacht, was
das für sie bedeutet, Tag ein, Tag aus hier herumzusitzen, was da mit ihrer
Würde passiert?«
»Natürlich
habe ich ...«, hob ich an, hielt dann aber abrupt inne, weil mich die
Erinnerung an meine eigenen glücklichen Tage ablenkte, als ich im Haus herumsaß
oder, besser, herumlag, und dass so etwas wie Würde dabei nie eine Rolle
gespielt hatte.
»Und die
Menschen in Bonetown - was ist mit denen? Die sind alle in dieses Land
gekommen, weil sie ein besseres Leben für sich wollten. Für sie ist das die
Hoffnung, für sie ist das Over the Rainbow.«
»Tja, die
sollten mal ein ernstes Wörtchen mit ihrem Reisebüro reden«, sagte ich. In
derselben Sekunde stieß Bel mich zur Seite und stürmte Richtung Treppe.
»Halt,
jetzt warte doch, das war ein Witz...«
In der
Mitte der Treppe holte ich sie ein und packte sie am Ellbogen. Widerwillig
drehte sie sich um, und erstaunt sah ich, dass ihr Tränen in den Augen standen.
»Das war
ein Witz«, sagte ich noch einmal.
»Das ist
nicht lustig«, sagte sie mit einer Stimme, die nur noch ein Flüstern war. »Du
musst damit aufhören, Charles. Du kannst nicht einfach herkommen und alles nur
niedermachen. Du bist wie Vater: Du willst dich in dein Arbeitszimmer
einsperren und deinen schönen Fantasien nachhängen, das ist alles. Aber mir
bringt das nichts mehr, verstehst du das denn nicht? Weil ... weil, Herrgott,
Charles, etwas Gutes muss es doch geben, oder nicht? Etwas, das es wert ist,
getan zu werden? Du bist mein Bruder, kannst du mich nicht einfach
unterstützen? Kannst du mir nicht einfach sagen, dass ich kein Idiot bin,
bloß weil ich es versuche? Auch wenn du nicht dran glaubst - kannst du es nicht
trotzdem einfach sagen?«
Sie
schaute mir mit leuchtendem, tadelndem Blick in die Augen. Der geheimnisvoll
glänzende Anhänger bewegte sich zwischen ihren Fingern, als wollte er mir etwas
mitteilen. Ich erkannte, dass das keine ihrer üblichen bombastischen Predigten
war, dass hier mehr zur Debatte stand als meine Faulheit oder Harrys Stücke.
Ich dachte daran, was Mutter mir vorhin gesagt hatte. Stimmte hier wirklich
etwas nicht? Und flehte sie mich an, ihr zu helfen?
»Master
Charles!«
Die Fragen
mussten noch etwas zurückstehen, denn hier war Mrs P, die mit einer Platte
voller köstlich aussehender Käsehäppchen am Fuß der Treppe stand.
»Ah,
Mrs P, bravo!«
»O
Gott!« Bel ging hinter mir die Treppe hinunter.
»Was haben
wir denn da?« Ich inspizierte die Platte. »Brie ... Gorgonzola ... Edamer ...
eine wahrlich internationale Auswahl.«
»Mrs P,
eigentlich sollten sie nicht ihn bedienen«,
sagte Bel tadelnd.
»Oho, was
ist denn das?«
»Ich habe
gefunden noch ein kleines Stück Roquefort, Master Charles«, sagte Mrs P
verschämt glucksend.
»In der
Tat!« Wie ein Prospektor einen Goldnugget hielt ich das kleine, zarte morceau in die
Höhe.
»Mrs P!« Bel
stampfte gebieterisch mit dem Fuß auf den Boden. »Er lebt nicht mehr hier,
verstehen Sie?«
»Ja, aber
Miss Bel, wenn Master Charles doch Hunger hat...«
»Genau, Bel,
wenn Master Charles doch Hunger hat...«
Bel biss
die Zähne zusammen. »Und noch etwas - ich habe gedacht, wir wären uns einig
gewesen, diesen Kram mit Master Charles und Miss Bel bleiben zu lassen.«
»Dann also
Genossin Bel.« Ich kicherte mit dem Mund voll Roquefort.
Bel atmete
zischend aus. »Jetzt reicht's! Charles, wenn du jetzt bitte gehen würdest?«
Ich schaute sie an. »He?«
»Raus hier. Sofort.«
»Das ist nicht dein Ernst.«
»Und ob
das mein Ernst ist«, sagte sie. Es war ihr Ernst. Ihre Laune hatte sich so
schnell verändert, wie eine Wolke sich vor die Sonne schob. Die ängstliche,
besorgte Bel war binnen weniger Augenblicke der eisernen, unerschütterlichen Bel
gewichen, die mit donnergleichem Gestus zur Tür zeigte. »Wenn du nur vorbeikommst,
um niederzumachen, was wir auf die Beine gestellt haben, dann haust du besser
wieder ab.«
»Kann ich
wenigstens den Käse fertig essen?«
»Nein«,
sagte sie und riss mir die Platte aus der Hand. »Raus!«
In der
Hoffnung auf ein gewisses Maß an Zurechnungsfähigkeit oder Verstand
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