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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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steif in seinem Stuhl gesessen - »tiefgefroren wie ein
Fischstäbchen«, wie sich Mutter bildkräftig ausdrückte. Olivier war ein
Hysteriker. Drei Sanitäter hätten ihn vom Körper des Alten losreißen müssen,
und sie hätten sich auch geweigert, ihn im Krankenwagen mitfahren zu lassen.
Mutter sagte, dass er noch stundenlang weinend im Garten herumgelaufen sei und
buchstäblich den Mond angeheult habe.
    Der
eigentliche Grund ihres Anrufs war ein anderer. Sie fragte mich, ob ich in zwei
Wochen Zeit hätte, um ihnen bei der Premiere der Rampe zu helfen.
Sie befolgten Mirelas Plan einer speziellen einmaligen Aufführung, zu der
potenzielle Investoren eingeladen wurden. Eine Fundraising-Veranstaltung in
derart luxuriösem Rahmen erschien mir ziemlich paradox, aber Mutter erklärte
mir, dass es allgemein bekannt sei, dass die Gutbetuchten am ehesten Geld
herausrückten, wenn man sich den Anschein gab, als hätte man es gar nicht
nötig. Für jeden, der bei den Vorbereitungen behilflich sei, sagte sie, gebe
es Freikarten.
    Das
Angebot sei verlockend, antwortete ich, aber angesichts der Wendung, die unser
letztes Treffen genommen habe, sei es wohl besser, ich würde Bel eine Zeit lang
aus dem Weg gehen. »Sie kommt mir ein bisschen gereizt vor«, sagte ich.
    Mutter
wollte nichts davon hören. »Etwas verstimmt vielleicht, weil sie nicht mehr im
Mittelpunkt des Interesses steht«, sagte Mutter. »Du hast nicht das Geringste
zu befürchten.«
    »Du meinst
nicht, sie könnte vielleicht...«
    »Absolut
nicht«, sagte Mutter mit fester Stimme.
    Ich
wünschte, ich wäre mir auch so sicher. Nach allem, was zu Hause vorgefallen
war, fragte ich mich, ob Thompsons Tod nicht so eine Art böses Omen war. In den
folgenden Tagen spürte ich die Last einer namenlosen Finsternis; und heute
Abend bildete ich mir ein, dass der Wind Oliviers Todesgeheul hereinwehte.
    Selbst die
Fernsehnachrichten aus dieser Zeit schienen eine Tendenz zum Grotesken haben:
die Leichen, die im Balkan unter der Erde lauerten; der stete Strom von grau
gewandeten Politikern, die vor Tribunalen ihre Korruptheit offenbarten.
Einmal, bei einer Live-Übertragung eines Tumults anlässlich eines Steuerberaterkongresses
in Seattle, hätte ich schwören können, dass ich einen meiner Bauarbeiter
gesehen hatte. Er hatte sich ein großes gelbes W auf die Stirn geklebt und lief
buhend in der Gegend herum, verfolgt von vier Polizisten mit Gasmasken und
Schlagstöcken.
    Eines
Abends kam aus einer ziemlich unerwarteten Ecke die Lösung - obwohl die sich,
wie die besten Lösungen immer, schon die ganze Zeit direkt vor meiner Nase
befunden hatte. Frank war in der Küche und klapperte mit Kochtöpfen herum,
Droyd kam der Meldepflicht bei seinem Bewährungshelfer nach, und ich saß wie
immer nach der Arbeit im Sessel. Ich rauchte eine Pfeife, die in einem der
Kartons gewesen war, die Frank mit nach Hause gebracht hatte, und dachte über
das Pech nach, dass Bel von allen Schweinehunden auf der Welt gerade an Harry
hängen bleiben musste. Kurz, es war ein Abend wie jeder andere, außer dass
jemand Ordnung in den Abfall gebracht oder Frank in den letzten Tagen einen
Käufer aufgetan haben musste, der vertrauensseliger gewesen war als seine
sonstigen Kunden. Das Zimmer kam mir nämlich ungewöhnlich geräumig vor, und mir
waren mehrere Abschnitte des Teppichs aufgefallen, von denen ich sicher war,
dass ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Zudem war auf dem Tisch urplötzlich
eine Vase mit frischen Blumen aufgetaucht. Der Fernseher war aus, stattdessen
erstrahlte die Wohnung im Licht einer altmodischen Sturmlaterne, die an der Lampenhalterung
an der Decke befestigt war. Und jetzt kam Frank herein, ging im Zimmer herum,
hob mit leerem Gesichtsausdruck Dinge in die Höhe und schaute darunter. Das
machte mich nach einer Weile ganz nervös, also fragte ich ihn, was er da tue.
    »Gehst du
heute Abend nicht raus, Charlie?«, fragte er.
    »Was?«,
sagte ich. »Übrigens, deine Krawatte hängt etwas schief, alter Junge.« Er trug
eine von diesen Clipkrawatten, die er anscheinend nicht richtig eingeklinkt
hatte.
    »Ah ja,
stimmt«, sagte er und lief purpurrot an. »Hab bloß gedacht, du gehst heute
Abend raus, mit deinen Kumpels da aus Lettland.«
    Anfang der
Woche hatten wir in Veredelungsbereich B darüber geredet, ob wir nicht mal bei
Bobo Karten spielen sollten. Schließlich hatte ich mich aber doch dazu entschlossen,
zu Hause zu bleiben, ich war einfach zu deprimiert. Ich sagte ihm das

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