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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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Unterprivilegierte Künstler, richtig?«
    »Ich kann
dir nicht folgen«, sagte ich.
    »Na ja,
ich meine, du siehst doch jetzt schon total unterprivilegiert aus. Schau dir
doch bloß die speckige Arbeitshose an...«
    »Stimmt
eigentlich«, sagte ich nachdenklich. »Und wo ich hier lebe, mit einem Junkie
auf Entzug und mit Frank.«
    Frank
schaltete sich ein und fragte ziemlich scharf, ob wir jetzt, bitte schön,
endlich das Video anschauen könnten.
    »Du lieber
Himmel!«, sagte Laura. »Das hatte ich ganz vergessen.«
    »Welches
Video?«, fragte ich.
    »Titanic«, sagte sie und zog die Kassette aus ihrer Handtasche. »Frank hat ihn
noch nicht gesehen, unglaublich, was?«
    »Ich auch nicht«, sagte ich.
    »Was?« Laura fiel die Kinnlade herunter.
»Ich glaub's nicht!«
    »Bin mir nicht sicher, Charlie, ob das so dein Ding ist«,
warf Frank ein.
    »Wenn man
Filme mag, kann man Titanic nicht nicht mögen«,
erklärte ihm Laura.
    »Bin mir
einfach nicht sicher, ob das Charlie sein Ding ist«, sagte Frank.
    »Wir
müssen ihn ja nicht gleich anschauen, ich amüsier mich auch so prächtig.«
    »Wir
könnten ein Spiel spielen«, schlug ich vor. »Scharade oder so was.«
    »Wir schauen ihn jetzt an«, sagte Frank mit schwerer
Stimme.
    Ich drehte
das Licht der Laterne etwas herunter und zwängte mich wieder neben Laura. Frank
saß mit maßlos säuerlichem Gesichtsausdruck in seinem Sessel. Vielleicht
wünschte er sich, dass wir - wie ursprünglich geplant - zusammen die Kommode
polierten. Zugegeben, Laura war wohl eine ziemlich gewöhnungsbedürftige
Person, allerdings ging mir jetzt, da sie sich an mich schmiegte und die Wärme
ihres Oberschenkels auf mich übergriff, doch der Gedanke durch den Kopf, ob
ich sie möglicherweise nicht etwas voreilig abgewiesen hatte ... Doch dann
dachte ich daran, wie Mirela meine Hand berührt hatte, und riss mich zusammen.
    Anfangs
war ich mir nicht sicher, was Frank mit diesem >nicht mein Ding< gemeint
haben könnte. A Night to Remember, die 1958
entstandene Schilderung jener fatalen Reise, hatte mich jedenfalls ziemlich
angerührt. Das war so eine Art schwimmende Lobpreisung auf die Tugend der
Contenance gewesen, in der Passagiere und Besatzung, offensichtlich allesamt
den oberen Klassen Britanniens entstammend, sehr höflich und mit so wenig
Tamtam wie möglich auf den Grund des Ozeans sanken. Titanic hatte
allerdings zunächst kaum Ähnlichkeit mit A Night to Remember. Ein Schiff
war da, okay, aber anstatt es sinken zu sehen, hechelten wir die ganze Zeit
hinter zwei tumben Teenagern her: ein Mädchen vom Typ Rotbäckchen, gespielt
von einer gewissen Kate Winslet, trifft an Bord einen im Geiste etwas trägen
Maler, der von einem Burschen gespielt wird, der auffallend einem von diesen
Hunden mit den platten Schnauzen ähnelte, denen wohlhabende ältere Damen so
innig zugetan sind. Die beiden gingen zu einem Ball und alberten dann mit einer
Horde Iren im Zwischendeck herum. Als nach einer Weile der Rigbert's ausging,
machte ich mit dem Hobson's aus dem Kühlschrank weiter.
    Ich
bezweifelte, dass Honor Blackman nur wenige Stunden, nachdem sie jemanden
kennen gelernt hatte, diesem Jemand erlaubt hätte, sie nackt zu malen. Und
sicher wäre sie ihm nicht auf dem Rücksitz eines Autos zu Willen gewesen - auf
dem Rücksitz eines Autos, ich bitte
Sie, auf dem teuersten Schiff der Menschheitsgeschichte ...
    »Ich hab
gedacht, da kommt ein Eisberg drin vor«, sagte ich.
    Laura
weinte stumm in sich hinein. Frank hustete verlegen und mied meinen Blick.
    Das
verfluchte Schiff weigerte sich drei volle Stunden lang unterzugehen. Als es
schließlich doch unterging, war ich so traumatisiert, dass mich nicht mal mehr
der langsame Tod von Plattschnauze trösten konnte. Der Dialog, die
Schauspieler, die ungeheure Leere des ganzen Unternehmens - ging das
heutzutage als Kino durch? Ich kam mir wie vergewaltigt vor, vergewaltigt von
einem Heer Steuerberater.
    Kraftlos
vor Kummer lag Laura weinend in meinem Schoß. Frank schaute stumpf auf den
Abspann, über dem als Gnadenstoß eine oder mehrere Katzen ein würgendes
Gewimmer des Inhalts »My Heart Will Go On« von sich gaben - eine Ansicht, der
ich in jenem Augenblick nicht beipflichten konnte.
    Es dauerte
einige Minuten, bis ich wieder so weit bei Kräften war, dass ich sprechen
konnte. »Frank«, sagte ich matt. »Ich geh jetzt schlafen.«
    »Kein
Problem«, sagte Frank.
    »Tut mir
Leid«, sagte ich. »Aber meine Augen können jetzt nichts mehr

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