Murray, Paul
damals, als sie ihre hysterischen Episoden
durchmachte, laut Aussage der Ärzte nicht wirklich einen Grund dafür gegeben.
Es handele sich um eine Phase, aus der sie herauswachsen würde, sagten sie, als
sie sie am Bett festschnallten und die Dosis erhöhten. Für diejenigen, die am
Bett saßen und ihr die Hand hielten, war das ein schwacher Trost - wenn sie
sich in Krämpfen wand oder wild auf imaginäre Schreckgespenster einschlug oder
stundenlang dalag und uns ohne eine Zeichen des Erkennens von der anderen
Seite dessen, wohin sie sich zurückgezogen hatte, anschaute.
Lange Zeit
saß ich so da, die Hand auf dem Mund, die Füße unter der Decke kalt wie zwei
Eisblöcke. Und dann, gerade als mich die Verzweiflung gänzlich zu übermannen
drohte, fielen mir wieder Lauras Worte ein. Vielleicht
solltest du ein Stück schreiben. Sie war schon die Zweite, die das
sagte. Bel hatte es sarkastisch gemeint, und Laura war eben Laura, sodass ich
den Gedanken daran praktisch sofort verworfen hatte. Doch jetzt, als ich so darüber
nachdachte, erschien mir der Vorschlag nicht völlig sinnlos.
Ich
stolperte ins Wohnzimmer. Es war leer. Frank hatte Laura sicher ein Taxi
gerufen. Ich setzte mich auf die verlassene Couch und schaute fragend in die
Dunkelheit. Natürlich! Schreib ein Stück! Wieso war mir das nicht schon früher
eingefallen? Wenn ich ein unterprivilegierter Künstler war, dann mussten sie
mich wieder ins Haus lassen.
Und
plötzlich kam mir der Gedanke, dass Bel den Vorschlag möglicherweise gar nicht
sarkastisch gemeint hatte, dass es ihr auf einer irgendwie unterbewussten Ebene
vielleicht ernst gewesen war, und dass sie mich deshalb darum bat, damit ich
nach Amaurot zurückkehrte und Ordnung schaffte. Ich war wie im Fieber, richtete
mich auf, spürte das noch tränenfeuchte Polster unter den Händen. Vielleicht
war ich dazu ausersehen, dieses Stück zu schreiben,
vielleicht war ich nur deshalb aus dem Haus vertrieben worden, damit ich dieses
Stück schrieb. Ein Stück, das alles klarstellte, ein Stück, das Harrys lauwarme
kleine Pantomine bourgeoiser Schuld hinwegfegte, eine Apologie von allem, was
ich je gedacht oder getan hatte, eine Lobpreisung auf eine verloren gegangene
Lebensart, ein Zornesschrei gegen das Verlöschen des Lichts! Schließlich würde
ich das Wort doch noch erheben, würde ich es der Welt doch noch zeigen! Ich
nahm einen Stift und ein Blatt Papier von dem für meine Monografie schon
bereitgelegten Stapel. In der Wohnung herrschte vollkommene Stille, eine
Stille, so straff gespannt und zitternd wie die Wasseroberfläche eines Sees.
Als flüsterte das Universum selbst mir zu, Jetzt,
jetzt, die Zeit ist reif, wir können nicht mehr länger warten, hob ich
den Stift und schrieb mit einem beängstigenden Gespür für die historische
Dimension in die obere rechte Ecke des Blattes ein Wort: Charles.
Ich lehnte
mich zurück und betrachtete mein Werk. Charles. Gut. Ich
klopfte mit der Kappe des Stifts gegen meine Zähne und sah mich in meinem
Salon, bekränzt mit Girlanden, umgeben von unschuldigen jungen Mädchen, die
ungeduldig an meinen Lippen hingen, um vom Autor des Charles zu lernen.
Mir fiel auf, dass das Blatt sehr weiß war. Lag das an der speziellen Sorte,
oder war Papier immer so weiß? Jemand anderen hätte das aus der Ruhe gebracht. Jetzt!
Jetzt! Ans Werk! Sofort!, drängte das Universum. Wieder
senkte ich die Spitze des Stifts und schrieb vor Charles das Wort von. Dann,
hinter Charles, schrieb ich Hythloday. Danach hielt ich eine Pause für angebracht, holte mir ein Bier aus dem
Kühlschrank und schaltete kurz den Fernseher ein. Dann, die Uhr schlug drei, packte
mich die Inspiration. In einem einzigen wilden Anfall schrieb ich fünf
vollkommen neue Worte neben die drei, die ich schon geschrieben hatte - den
Titel, meinen Titel. Es war ein großartiger Titel, ein bedeutungsschwerer
Titel, der all die Freuden und Kümmernisse, all das Rätselhafte und Gewöhnliche
eines Lebens in sich trug. Mit der Fingerspitze wischte ich mir eine Träne aus
dem Auge.
Mit so
einem Titel war der Großteil der Arbeit schon getan. Aber ich ließ nicht nach.
In meinem Geist brodelte es vor Möglichkeiten, vor geistreichen Charakteren
und weisen Einsichten in die menschliche Befindlichkeit. Sie konnten alle drin
vorkommen: Laura als eine Art ironischer griechischer Chor, Frank als ein im
Wesentlichen unkontrolliert herumlaufendes Es, dann noch
Mutter (der Wankelmut der Frau), Mirela (die Sehnsucht und
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