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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 2)
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dem Kirchenparkplatz -
    Ich hab
gedacht, sie will nur Pillen kaufen, stößt er hervor. Janine lacht, ein
Filmlachen mit zurückgeworfenem Kopf, ha-ha-ha. Du hast ja nicht gerade viel
Ahnung von Mädchen, sagt sie. Dann tritt sie näher an ihn heran, sodass ihre
Titten seinen Arm berühren, und senkt die Stimme. Ich könnte dir da auf die
Sprünge helfen, sagt sie und spielt mit der Kordel seiner Kapuze. Aber Carl
ist in Gedanken noch bei dem, was sie über Lori gesagt hat, und schließlich
rückt Janine wieder von ihm ab und schaut ihn an wie ein getretener Hund. Und
dann: Sie war mit ihm zusammen, sagt sie, und jedes ihrer Worte ist, als würde
sie mit einem Messer zustechen. Er schickt ihr SMS. Er schickt ihr Gedichte.
    Mit
schlurfenden kleinen Schritten wendet sich Carl ab und schaut ins Dunkel. Das
Mädchen tanzt vor ihm herum, fasst seine Hände und ruft: Ach, Carl, warum
interessiert's dich überhaupt, was Lori macht? Sie ist doch noch ein Kind, sie
weiß nicht, was Männer wollen. Aber Carl rührt sich nicht. Er starrt auf den
Betonboden, auf dem der Junge ohne Gesicht Lori küsst, der Junge, der mit ihr
überall dorthin geht, wo Carl mit ihr war, der seine Hand unter ihr T-Shirt
schiebt, seine Finger in ihre Möse steckt, ihre kleine weiße Faust mit Wichse
überschwemmt ... Janine tritt einen Schritt zurück. Ihre Hände umfassen noch
seine, und er spürt ihren Blick auf sich wie aus weiter Ferne. Etwas kühler
fragt sie: Willst du sie zurückhaben?
    Er hebt
den Kopf. Er ist so wütend, dass Janine einen Moment lang Daniel ist und seine
Arme sich anspannen, um ihn zu packen und in Stücke zu reißen. Doch dann ist es
vorbei, seine Arme sind leer, und Carl ist am Boden zerstört.
    Janine
streicht ihm übers Haar, und dann sagt sie: Du hast es echt vergeigt auf der Party, Carl. Und das ist nicht
das einzige Problem. Ihre Eltern haben rausgekriegt, dass sie sie angelogen
hat. Wenn sie bei dir war, hat sie immer gesagt, sie ist bei mir, aber dann hat
meine Mom beim Einkaufen ihre Mom getroffen und ihr gesagt, dass sie seit
Wochen nicht mehr bei uns war. Da war die Kacke am Dampfen. Ihr Daddy will
nämlich immer ganz genau wissen, wo seine kleine Prinzessin ist und mit wem.
Der war wohl nicht sehr erfreut über dich - Daddys mögen dich nicht Carl,
stimmt's? Sie bewegt langsam den Kopf hin und her, wie ein trauriger Hund.
Jedenfalls hat sie jetzt Hausarrest, es war also ziemlich schwierig, sie zu
treffen, auch wenn sie's wollte. Janine streicht ihm mit sanften Fingern das
Haar zurück. Sei nicht traurig. Wenn du willst, rede ich mit ihr. Ich könnte
ihr wenigstens sagen, wie leid es dir tut. Soll ich das machen, Carl?
    Carl nickt. Sie legt die Arme um ihn und drückt ihn
tröstend an sich. Ach, Carl, seufzt sie wie eine Lehrerin, die ihren ewig unartigen
Lieblingsschüler vor sich hat. So einer war Carl nie, er war immer einer, vor
dem die Lehrer Angst hatten. Janine beugt sich zurück, um ihm ins Gesicht zu
sehen, dann drückt sie ihm ein aufmunterndes Küsschen auf die Wange. Ich rede
mit ihr, verspricht sie. Alles wird gut. Sie tätschelt ihm das Kinn. Hast du
meine Bonbons mitgebracht?
    Er holt das Plastiktütchen aus der Tasche und gibt es
ihr. Sie öffnet ihr Portemonnaie und sagt dann, als wären sie zwei Kirchgänger,
die sich nach dem Gottesdienst noch auf den Stufen draußen über das Wetter
unterhalten: Lori sagt, ihr hattet eine Abmachung.
    Carl tritt von einem Fuß auf den anderen, ohne zu
antworten.
    Ach, Carl, wiederholt Janine und drückt sich an ihn.
Keine Sorge, ich kümmere mich um dich. Dann reckt sie sich hoch und gibt ihm
noch ein Küsschen, ein freundliches, mütterliches Küsschen auf die Wange und
dann eins auf die Nase, eins auf sein Kinn, seine Augen, seinen Hals, bis
zufällig eins auf seinem Mund landet, der offen ist, das passiert zufällig noch
einmal, und zufällig kleben sie schließlich dicht und feucht aneinander. Sein
Mund ist voll von ihrem dort im Dunkeln vor der Kirche, so wie in seiner
Fantasie Loris Mund voll ist von dem des gesichtslosen Daniel. Aber bald wird
Carl sein Gesicht finden, und dann kann er was erleben.
     
    Überall hängen jetzt Plakate für das Weihnachtskonzert,
und das Castingfieber fegt durch die Schule. In der Mittagspause ertönen in
allen Fluren mehr oder minder melodische, grunzende, klimpernde und dumpf
hämmernde Klänge; in den Aufenthaltsräumen drängen sich Grüppchen von Jungen,
die sich Nummern ausdenken, von Oper über Gangsta bis hin zu

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