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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 2)
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besser, könnte man fast
meinen, Ruprecht sei wie sein Zimmergenosse verliebt. Aber man weiß es besser
und kommt deshalb zu dem Schluss, dass es höchstwahrscheinlich mit der neuen
Theorie zusammenhängt, von der er ständig redet.
    Ruprecht
hat herausgefunden, dass der Begriff »M-Theorie« irreführend ist. Theorie verweist auf eine irgendwie
geartete Hypothese, eine Fragestellung, einen Katalog von Prinzipien oder
zumindest eine vage Vorstellung, worum es dabei überhaupt geht. Die M-Theorie
bietet jedoch nichts dergleichen. Sie ist ein reines Rätsel: ein nebulöses,
schemenhaftes, facettenreiches Gebilde, unendlich viel größer als das, was sie
ursprünglich erklären sollte. Mit der M-Theorie konfrontiert, werden die
besten Wissenschaftler der Welt zu Schuljungen - ja, nicht einmal das, zu Höhlenmenschen, Primitiven, die mit ihren
Steinäxten im Dschungel auf Nahrungssuche gehen und dabei auf ein Raumschiff
stoßen, das riesenhaft und undurchdringlich mitten in den Farnen sitzt. Sie
verschlingt ganze mathematische Disziplinen wie nichts. Hoch komplizierte
Gleichungen, entwickelt von den genialsten Köpfen am Limit menschlicher Fähigkeiten,
sind nichts weiter als überaus kindliche Versuche, ihre äußersten Ränder zu
beschreiben, schwache Flammen, die allenfalls einen Hauch der unermesslichen,
sich ins Dunkel zurückziehenden Weite erhellen. Allen Mühen zum Trotz bleibt
die Realität der Theorie - was sie genau bedeutet, was sie besagt, wovon sie eine Theorie ist - hinter dem
unergründlichen M verborgen. Jeder träumt davon, sie zu knacken, sie - in
Ketten wie King Kong - ins helle Licht zu rücken, doch spät nachts überläuft
alle immer wieder eine Gänsehaut bei dem Gedanken, dass ihre Bemühungen sie
nicht erhellen, sondern lediglich nähren, sie mit Wissen vollstopfen, das sie
ohne ein Anzeichen der Sättigung verschlingt.
    »Was für einen Sinn hat sie
dann?« Dennis kann sich weder mit der Theorie noch mit Ruprechts Besessenheit
anfreunden, hinter der er nur eine weitere Schicht der Selbstmystifizierung
vermutet.
    »Also, der
>Sinn<, das wäre wohl eine lückenlose Erklärung der Wirklichkeit.«
Ruprecht räuspert sich gewichtig. »Das wäre im Wesentlichen der >Sinn<,
würde ich sagen.«
    »Aber das
ist doch nur ein Haufen Mathe. Wem nützt denn das?«
    »Es gibt
sowieso schon viel zu viel Mathe«, schaltet Mario sich ein. »Mehr Möse, weniger
Mathe, sag ich immer.«
    »Ja, aber
wenn Newton das auch gesagt hätte, dann gäb's kein Gravitationsgesetz«, wendet
Ruprecht ein. »Wenn James Clerk Maxwell >Mehr Möse, weniger Mathe< gesagt
hätte, dann gäb's keine Elektrizität. Mathe und das Universum gehen Hand in
Hand. Formeln, die mit einem einzigen Bleistift in einem einzigen Heft
entwickelt worden sind, können die ganze Welt verändern. Nehmt nur mal
Einstein. E = mc 2 .«
    »Ja,
und?«, fragt Dennis.
    »Und ohne
einen >Haufen Mathe< würden wir alle in Hütten leben und Schafe züchten.«
    »Cool«,
sagt Dennis.
    »Ach, du
würdest gern in einer Welt ohne Telefon und DVDs leben, ja?«
    »Ja.«
    »Du
würdest gern ins Krankenhaus kommen und ohne Narkose operiert werden, bei
Kerzenlicht, von Ärzten, die keine Ahnung haben, was dir fehlt, weil es keine
Röntgengeräte gibt?«
    »Ja.«
    »Im Ernst?«
    »Ja.«
    »Na gut.«
    »Gut.«
    »Gut.«
    Die
Theorie hat natürlich ihre Zweifler, und nicht alle sind so schlecht informiert
wie Dennis.
    »Mathematisch,
ja, da hat sie wirklich ein großes Erklärungspotenzial«, sagt Mr. Farley,
nachdem der Unterricht wieder einmal in eine Diskussion über die mögliche
Physik anderer Universen abgedriftet ist. »Aber das heißt noch nicht, dass sie zutrifft. Viele Leute haben spannende
Theorien darüber aufgestellt, was mit Atlantis passiert ist. Eine besagt
sogar, dass Irland ein Überrest von Atlantis ist. Aber wenn diese Leute das
nicht irgendwie belegen, nicht irgendeinen Beweis dafür erbringen könnten,
würdet ihr ihnen doch nicht glauben, oder?«
    »Nein«,
gibt Ruprecht zu.
    »Fakt ist,
dass eine Trillion hoch zwei mal mehr Energie nötig wäre, als unsere stärkste
Energiequelle sie liefern kann, um einen Beweis für die M-Theorie zu finden.
Allein aus diesem Grund würden viele Wissenschaftler sagen, dass sie der
Wissenschaft des einundzwanzigsten Jahrhunderts nicht entspricht. Wir können also, selbst wenn sie
zutrifft, nicht viel mit ihr anfangen, genauso wenig, wie beispielsweise
Galilei das Betriebssystem eines Computers hätte nutzen können,

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