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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 2)
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einer neuen Form
wagnerianischer Schwüle, von Caetano Diaz aus der Siebten ersonnen und
»Apocalypso« betitelt. Das Seabrook-Weihnachtskonzert mag ein Nichts im großen
Weltenplan sein, aber wie jeder Experte für öffentliche Auftritte weiß, ist man
auch auf dem niedrigsten Podium ein klein wenig größer als alle anderen. Die
Konkurrenz schläft nicht, und der kleinste gemeinsame Nenner bleibt nicht
unausgelotet. Etwas Erstaunliches ist in dem Probenstimmengewirr zu vernehmen:
noch zuckersüßere Varianten der ohnehin schon schmalztriefenden Balladen
»Flying Without Wings«, »I Believe I Can Fly«, »Wind Beneath My Wings« und
anderer Songs, ob mit oder ohne Flügel. Glaubwürdigkeit ist für diese Jungen
nicht mehr das Anliegen, das es für frühere Generationen gewesen sein mag. Eine
Menge kontroverse Themen sind im vergangenen Jahrzehnt aufgearbeitet, eine
Menge Ideen weggefegt worden; heute besteht allgemeine Einigkeit darüber, dass
Berühmtheit das einzige Ziel ist, das anzustreben sich wahrhaft lohnt.
Titelfotos, Werbeverträge, künstlich geweißte Zähne, die hinter Absperrgittern
der tobenden anonymen Menge zulächeln - das ist das Nonplusultra einer mit
Spiritualität nicht eben überfrachteten Welt, und was immer man tut, um es zu
erreichen, gilt als legitim.
    Musikalischer Leiter des Konzerts ist Pater Constance
»Connie« Laughton, ein freundlicher, geschlechtsloser Mann mit weißem Haar und
bonbonrosa Gesichtsfarbe, dessen glühendes Verlangen, den Herzen seiner
halbwüchsigen Schützlinge die Liebe zur klassischen Musik einzuflößen, im
Verein mit seinem wachsweichen Verhältnis zu Disziplin ihm einen festen Platz
ganz oben auf Dennis' Anwärterliste für Nervenzusammenbrüche sichern. Er lässt
die populistischen Neigungen der Jungen zwar gelten, seine eigenen Vorlieben
aber sind rein kanonischer Natur; er ist vor allem ein Freund des Waldhorns und
hat Ruprecht bereits wegen eines eventuellen Auftritts beiseite genommen. Seit
einem Konzert in der Vergangenheit, über das Pater Laughton nie ein Wort
verliert, hat die Schule kein Orchester mehr, aber vielleicht habe Ruprecht ja
ein paar Freunde, meint der Pater, die ihn gern begleiten würden? Dennis lacht
laut und lange, als er von diesem Plan hört. »Die armen Irren, die sich zu so
was breitschlagen lassen«, sagt er. »Da kann man ja gleich mit einem riesigen
Gib-mirn-Tritt-Schild auf dem Rücken rumlaufen.«
    Der Renner beim diesjährigen Konzert ist die Rockgruppe
Shadowfax, die mit Wallace Willis und Louis O'Brien nicht nur einen, sondern
gleich zwei klassisch ausgebildete Gitarrengenies aufzuweisen hat: Echte
Mädchen zahlen echtes Geld dafür, ihre makellosen Coverversionen der Eagles und
anderer Giganten des Ü -40 -Rock zu hören. Selbst der Automator ist ein Fan der
Gruppe, seit er sie im vergangenen Sommer mit Totos »Rain in Africa« bei einem
von Pater Green organisierten Benefizkonzert für die Opfer der Dürrekatastrophe
in Äthiopien erlebt hat. Doch nicht alle angestrebten Auftritte sind musikalischer
Natur. In einem dunklen Winkel des Kellergeschosses haben sich ein paar Jungen
um Trevor Hickey versammelt, der vorgebeugt dasteht, das Hinterteil in der
Luft, in der Hand ein brennendes Streichholz, das er mit der Feierlichkeit
eines Zauberers, der in den Käfig aus Schwertern tritt, nach hinten führt...
    Diabios - so heißt die Nummer, und sie sind wahrhaft
teuflisch, diese entflammten Fürze. Trevor Hickey ist der unangefochtene
Meister dieser geheimnis- und gefahrvollen Kunst. Das Risiko könnte nicht
größer sein. Liegt das Timing nur einen Hauch daneben, so zeitigt das weit
ernstere Folgen als nur einen angesengten Hosenboden; das Wort Gasexplosion erscheint unausgesprochen im Hinterkopf eines jeden Zuschauers.
Grabesstille herrscht, als Trevors Hand, kaum merklich zitternd (alles beabsichtigt,
»das gehört zur Show«, wie Trevor es formuliert), das Streichholz zwischen
seine Beine hält und - wuschsch!! Ein Geräusch, als würde der Stoff des Universums zerreißen, und kontrapunktisch
dazu ein kollektives Lufteinziehen, als eine prachtvolle Flamme aus Trevors
Hintern schießt - fast einen Meter lang, wie die Jungen einander später
versichern, ein kaltes, schönes, lilablaues Wunder, das den Umkleideraum für
einen Augenblick in ein überirdisches Licht taucht.
    Niemand weiß so recht, wie Trevor Hickey sich ernährt
oder wie er trainiert; fragt man ihn danach, antwortet er nur, er habe eben
eine Begabung, und wer

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