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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 2)
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unter einer Zeichnung von einem Joint, der gleichzeitig ein
ejakulierender Penis ist.«
    Inzwischen hat Skippy die Sprache wiedergefunden, und
er macht davon Gebrauch. Mario kontert, die anderen mischen sich ein, und bald
sind sie so in die Debatte vertieft, dass keiner merkt, wie sich hinter ihnen
jemand aus der Menge löst und näher kommt - erst, als er mit einer für seine
Statur erstaunlichen Leichtfüßigkeit und Schnelligkeit wie ein Schatten hinter
Skippy auftaucht, seinen Kopf links und rechts fasst und ihn kurz und geschickt
gegen die Wand knallt.
    Skippy geht zu Boden wie eine totgeschlagene Fliege,
und für ein paar Augenblicke bleibt er ausgestreckt unter der Pinnwand liegen,
sodass der Strom der Schüler um ihn herumfließen muss. Dann stemmt er sich mit
Geoffs Hilfe zum Sitzen hoch und tastet vorsichtig nach seiner blutenden
Schläfe. Dennis sieht noch, wie sich Carl durch das Gewühl im Flur entfernt.
»Dann war's wohl die richtige Nummer«, sagt er.
     
    In dieser Nacht träumt Halley von alten Lieben; ein
paar Stunden vor Tagesanbruch wacht sie aufgewühlt und voller Schuldgefühle
auf. »Howard?«, ruft sie sacht, so als könnte er irgendwie Bescheid wissen. In
dem samtigen Dunkel klingt ihre Stimme dünn, vorsichtig, verschleiernd. Aber
er reagiert nicht; friedlich und selbstvergessen hebt und senkt sich die
schlummernde Masse seines von ihr abgewandten Körpers, ein monumentaler
Einzeller, der mit ihr das Bett teilt.
    Sie schließt die Augen, kann aber nicht wieder
einschlafen, und so versucht sie, sich ihren Traum zurückzurufen: ein Liebhaber
von Vorjahren in einer sonnendurchfluteten
Wohnung in der Mulberry
Street. Aber im Wachzustand gelingt es nicht; sie kommt sich vor wie ein
Voyeur, der in das Leben einer anderen Person hineinschaut.
    Bis sie geduscht hat, ist die Sonne aufgegangen. In der
Nacht hat es geregnet, und der Tag trieft vor Nässe, vibrierend und in Farben
schwelgend.
    »Morgen, Morgen.« Howard, schon in der Jacke, stürmt herein,
küsst sie auf die Wange und öffnet die Kühlschranktür. Er stellt den Toaster an
und schenkt sich Kaffee ein, setzt sich an den Tisch und vertieft sich in
seinen Stundenplan. Seit zwei Wochen vermeidet er es, sie anzusehen, warum,
weiß sie nicht. Hat sich irgendetwas an ihr verändert? Ihr Spiegelbild sieht
aus wie immer. »Und, was liegt heute an?«, fragt er.

Sie zuckt mit den Schultern. Ȇber Technologie
schreiben. Und bei dir?«
    »Geschichte unterrichten.« Jetzt schaut er auf und
lächelt sie an, ausdruckslos und falsch wie jemand in einem Frühstücksflockenwerbespot.
    »Ach, übrigens, heute Nachmittag brauch ich das Auto.«
    »So?«
    »Ja, ich muss zu dieser Projektausstellung.«
    »Bei der Royal Dublin Society? Farley wird auch da
sein, kannst ihm ja kurz Hallo sagen.«
    »Mach ich. Aber das Auto. Kann ich mittags in die
Schule kommen und es holen?«
    »Nimm es doch gleich. Ich kann ja mit dem Bus fahren.«
    »Bist du sicher?«
    »Klar, ist doch gescheiter, als wenn du - ups, dann
muss ich jetzt aber schleunigst los -« Er schaut auf die Uhr, holt sich schnell
einen Kuss und ist auch schon zur Tür hinausgewirbelt.
    So leben sie jetzt, wie zwei Schauspieler bei den
letzten Vorstellungen eines Stücks, das sich niemand mehr ansieht.
    Der Vormittag ist ein Sumpf aus E-Mails, vergeblichen
Anrufen und Voicemails, die weitere E-Mails, weitere Anrufe ankündigen. Aber
die Aussicht auf einen Nachmittag in der Welt draußen macht es erträglicher.
Von anderen hört Halley immer, wie gut sie es habe, dass sie zu Hause arbeiten
könne. Kein Pendeln! Kein Chef vor der Nase! Man muss sich nicht mal anziehen!
Sie selbst hat das Leben zu Hause oder die komplett vernetzte Gesellschaft, wie
es seinerzeit genannt wurde, immer als die große Verheißung der digitalen
Revolution gepriesen. Und jetzt sitzt sie hier und kann es kaum erwarten, eine
Projektausstellung von Teenagern zu besuchen, weil ihr das einen Vorwand
liefert, Make-up aufzulegen. Man sollte wohl vorsichtiger sein mit seinen
Wünschen.
    In Ballsbridge stellt sie den Wagen ab und tritt aus
dem hellen Nachmittag ins Dunkel der Ausstellungshalle. Drinnen herrscht
fieberhafte Betriebsamkeit, wie in einer jugendlichen Ameisenkolonie. Wohin
sie auch schaut, überall summen, blitzen, knistern oder plätschern geheimnisvolle
Apparate, pflichtbewusste Tiere berühren mit der Schnauze Elektroden oder
drehen Räder, Computer chiffrieren, dechiffrieren, konfigurieren. Bei all dem
Aufruhr aber ist die

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