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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 1)
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Poseidon, Airport, Der tödliche Schwarm - und blieben immer bis ganz zum
Schluss; hinterher zeigte er ihr die versoffene Stadt, ihre verstaubten,
verrosteten Reize, ihren Regen. Sie folgten Halleys Reiseführer und sahen sich
die Einschusslöcher in den Wänden des Hauptpostamts an, die traurigen, kindgroßen
Skelette in den Katakomben von St. Michan, die Gebeine des heiligen Valentin.
Unterwegs stellte sie sich vor, wie ihr Urgroßvater durch dieselben Straßen
gegangen war, und versuchte, die Sehenswürdigkeiten mit den angeheiterten
Geschichten in Einklang zu bringen, die ihr Vater immer beim Weihnachtsessen
erzählt hatte. Oder sie lachte verlegen über ihre dicken Landsleute am
Genealogiestand des Trinity College, an dem aufwendige Pergamentrollen mit
Stammbäumen verkauft wurden, die aussahen wie Urkunden über akademische
Abschlüsse, als wiesen sie den Käufern einen amtlichen Platz in der Geschichte
zu.
    Später,
wenn sie im Pub saßen, bat Howard sie, Geschichten von zu Hause zu erzählen.
Anscheinend hatte er seine Kindheit mit schlechten amerikanischen Fernsehserien
zugebracht, und als sie den Vorort beschrieb, in dem sie aufgewachsen war, oder
die Highschool, die sie besucht hatte, funkelten seine Augen und gliederten
diese Details in das mythische Land ein, das in den um sein Bett gestapelten
CDs, Büchern und Filmen dargestellt wurde. So sehr es ihr schmeichelte, dass
ihre Fremdheit ihr in seinen Augen einen Nimbus des Geheimnisvollen verlieh,
versuchte sie doch, ihm die banale Wahrheit zu vermitteln. »Eigentlich ist es
da auch nicht viel anders als hier«, sagte sie immer wieder.
    »Doch,
ist es schon«, erklärte er dann feierlich. Er erzählte ihr, dass er einmal
daran gedacht hatte, eine Greencard zu beantragen und rüberzugehen. »Du weißt
schon, irgendwas machen ...«
    »Und?
Was ist passiert?«
    »Was
soll schon passiert sein? Ich hab einen Job bekommen.« Er war in eine Position
in einer renommierten Londoner Brokerfirma reingerutscht
- so hatte
er sich ausgedrückt -, und auf Halleys Nachfrage hatte er gesagt, dass die
meisten seiner Klassenkameraden in Seabrook schließlich in der City oder in
entsprechenden Positionen der Hochfinanz in Dublin oder New York untergekommen
waren: »Es gibt da so eine Art Netzwerk«, hatte er gesagt. Die Gehälter waren
märchenhaft, und er hätte aller Wahrscheinlichkeit nach noch immer dort
gesessen und die Arbeit weder besonders gemocht noch sie verabscheut, wäre da
nicht das selbst verschuldete Desaster gewesen. Auch Desaster
war seine
wörtliche Formulierung; manchmal sagte er auch Riesenschlappe oder Absturz.
     
    Nach
diesem Debakel - was immer es gewesen war - war er nach Dublin zurückgekehrt,
und seit zwei Monaten unterrichtete er an seiner alten Schule Geschichte. Schon
bei der ersten Begegnung war ihr klar, dass Howards Eltern - obwohl sie ihn,
wie er sagte, damals ganz bewusst nach Seabrook geschickt hatten, weil die
Familie ein paar Stufen auf der Erfolgsleiter nach oben klettern sollte - es
eindeutig als Abstieg ansahen, dass er jetzt dort als Lehrer arbeitete. Ein Abendessen chez
Fallon, das war Besteckgeklapper auf gutem Porzellan mit langen Pausen
dazwischen, wie eine ungenießbare moderne Sinfonie; unter dem Firnis der Höflichkeit
brodelte ein Kessel voller Enttäuschungen und Vorwürfe. Es war wie ein Essen
bei einer der protestantischen Patrizierfamilien in New Hampshire. Halley war
überrascht, wie unirisch sie waren; allerdings fand sie auch fast alles andere
in Dublin unirisch.
    Sie
hatte von Anfang an den Verdacht gehabt, dass Howards Verhältnis zu Seabrook
komplizierter war, als er vorgab; erst als sie schon fast ein Jahr zusammen
waren, erzählte er ihr von dem Unfall im Steinbruch von Dalkey. Ihr kam das vor
wie einer der alkoholbedingten Unglücksfälle, die so typisch für männliche
Teenager sind, aber Howard, das wurde allmählich klar, sah alles, was davor und
danach geschehen war, im Licht dieses tragischen Ereignisses. Sie begann sich zu
fragen, warum er an die Schule zurückgegangen war - um sich zu bestrafen? Als
eine Art Wiedergutmachung? Es war, fand sie, als wollte er die Vergangenheit
leugnen und sich gleichzeitig in ihr einrichten; oder sie leugnen, indem er sich in ihr einrichtete.
Sie wusste nicht, wie gesund diese Situation war, doch immer wenn sie darüber
reden wollte, wechselte er gereizt das Thema.
    Das
machte nichts; sie hatten genug anderen Gesprächsstoff. Etwa zu der Zeit erfuhr
Halley von der Abfindung,

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