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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 1)
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hereinkommt, sich immer wappnet, um sich seinen
Überdruss nicht anmerken zu lassen, wenn er sie fragt, wie ihr Tag war. Er ist
angeödet, ein Gefühl unendlicher Langeweile hält ihn gefangen. Geht es von ihr
aus? Schickt sie Langeweile in sein Leben, wie ein strahlendes Atom, das
dumpfe, verfallende Isotop einer Liebenden? Sie erinnert sich an ihre Eltern,
wie sie sich in den Jahrzehnten der Rezession verwandelt haben, von Mitläufern
der Hippiebewegung, die ihr und Zephyr ihre absurden Namen gegeben haben, zu
magenkranken Mittfünfzigern, die sich hinter Geldanlagen verschanzen, während
sie darauf warten, dass der Himmel einstürzt. Sie fragt sich, ob das alles ist,
was sie zu erwarten hat, ein fortschreitender Prozess der Distanzierung, von
der Welt und von einander. Vielleicht war das der Grund, warum ihre Eltern sich
stritten; vielleicht waren die Streitereien fehlgeleitete Versuche, den Weg
zurück zu finden, dahinterzukommen, was sie verloren hatten und warum.
    Sie
wartet auf das Geräusch von Howards Auto und beschließt, dass sie sich heute
Abend lässig geben wird, gut gelaunt, dass sie heute Abend nicht streiten
werden. Aber sie spürt bereits, wie der Ärger in ihr aufsteigt, aus ihrem
Innersten hervorbrodelt, weil sie schon vor sich sieht, wie er hereinkommt, sie
fragt, wie es ihr geht, und sich seine Langeweile nicht anmerken lässt, während
sie ihm antwortet; wie er versucht, interessiert zu bleiben, als sei das ein
Projekt für seine Klasse - versucht, lieb zu sein, versucht, sich dazu zu
bringen, sie zu lieben.
     
     
    »Howard?
Haben Sie einen Moment Zeit, Howard?«
    »Na
ja, eigentlich wollte ich gerade -«
    »Ich
halte Sie nicht lange auf. Lassen Sie uns ein paar Schritte gehen, ich möchte
kurz was mit Ihnen besprechen. Wie geht's denn so, Howard? Und wie geht's ...
Sally, so heißt sie doch?«
    »Halley.«
Howard schaut wehmütig auf den Ausgang, während der Automator ihn in die
entgegengesetzte Richtung führt.
    »Halley,
natürlich. Haben Sie schon eine ehrbare Frau aus ihr gemacht? War natürlich ein
Scherz. Kein Druck aus der Richtung. Wir leben im einundzwanzigsten
Jahrhundert, die Schule maßt sich nicht an, Ihren Lebenswandel zu beurteilen.
Und die Arbeit, Howard, wie geht's damit? Sind ja mittlerweile schon im dritten
Jahr und haben wahrscheinlich alles bestens im Griff, oder?«
    »Ja,
also -«
    »Ein
faszinierendes Fach, Geschichte. Wissen Sie, was mir daran gefällt? Man hat
alles schwarz auf weiß vor Augen. Anders als in den Naturwissenschaften, wo
alle zwei Jahre alles auf den Kopf gestellt wird. Aufwärts ist jetzt abwärts.
Schwarz ist jetzt weiß. Bananen, die immer so gesund waren, sind in
Wirklichkeit krebserregend. In der Geschichte gibt es so was nicht. Da ist
alles unter Dach und Fach. Die Akten sind geschlossen. Spielt vielleicht heute
keine ganz so große Rolle mehr wie früher, weil die Kids lieber Publizistik
oder Informatik studieren, Fächer, deren aktuelle Bedeutung offensichtlicher
ist. Und was sagen sie? Aus der Geschichte lernen wir, dass Geschichte uns
nichts lehrt? Da fragt man sich doch, wozu wir noch Geschichtslehrer brauchen,
oder? Ha, ha! Das ist nicht meine Meinung, Howard, schauen Sie nicht so entsetzt.
Nein, ich finde, nur ein Idiot würde die Geschichte abschreiben, und Geschichtslehrer
wie Sie werden, wenn nicht was ganz Unerwartetes passiert, immer wichtige
Mitglieder unseres Kollegiums hier in Seabrook sein.«
    »Super«,
sagt Howard. Mit dem Automator zu reden wurde schon mit einer Konfettiparade
verglichen, und das Gehtempo des kommissarischen Direktors, das Howard zu einem
entwürdigenden Laufschritt zwingt, ist da nicht eben förderlich.
    »Geschichte,
Howard, darauf wurde diese Schule erbaut, natürlich abgesehen von den
konkreteren Fundamenten aus Lehm, Stein oder was immer.« Er bleibt jählings
stehen, sodass Howard beinahe in ihn hineinrumpelt. »Howard, sehen Sie sich
doch mal um. Was sehen Sie?«
    Benommen
folgt Howard der Aufforderung. Sie stehen in Our Lady's Hall. Da ist die
Madonna mit ihrem besternten Heiligenschein; da sind die Rugbyfotos, die
Schwarzen Bretter, die Leuchtstofflampen. So sehr er sich auch anstrengt, er
entdeckt nichts Ungewöhnliches und sieht sich schließlich zu der lahmen
Antwort »Our Lady's ... Hall?« gezwungen.
    »Exakt«,
erwidert der Automator anerkennend.
    Howard
schämt sich, dass er deswegen Stolz empfindet.
    »Wissen
Sie, wann diese Halle errichtet wurde? Dumme Frage, Sie sind der

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