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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 1)
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die er von der Brokerfirma bekommen hatte. Sie belief
sich auf das Dreifache seines Jahresgehalts als Lehrer. Er hatte das Geld
einfach auf der Bank liegen gelassen.
    Sie
drängte ihn nicht dazu, ein Haus zu kaufen. Sie sagte ihm nur, es sei dumm, so
viel Geld nutzlos herumliegen zu lassen. »Das ist das kleine ökonomische
Einmaleins«, sagte sie. Howard war der einzige Mensch in Irland, der nicht auf
Grundbesitz versessen war. Alle anderen redeten von nichts anderem - Häuserpreise,
Grunderwerbssteuer, variable Hypothekenzinsen, sie warfen mit Fachbegriffen um
sich wie Immobilienmakler auf einem Kongress -, aber ihm war es offenbar noch
nie in den Sinn gekommen, eine Immobilie zu erwerben. Er brauche jemanden, der
ihn zwinge, sich um sein eigenes Leben zu kümmern, sagte sie ihm. »Andernfalls
wirst du einfach von der Erdoberfläche verschwinden.«
    Also
bezogen sie ein paar Monate später ein Haus am Rand der Außenbezirke, mit Blick
über ein flaches Tal auf ein Gehölz von skurrilen Bilderbuchbäumen. Obwohl es
kein gehobenes Wohngebiet war - sie bezweifelte, dass irgendjemand in der Nachbarschaft
seine Kinder nach Seabrook schickte -, konnten sie sich das Haus eigentlich
nicht leisten. Aber gerade die schier verwerfliche Unvernunft gehörte für sie
zum Reiz der Sache, das don-quichottische Draufgängertum - dass sie beide sich
tatsächlich dem Leben stellten, dass sie an seine Tore klopften und »Lass uns
rein!« schrien, obwohl sie weder Einladung noch Abendgarderobe hatten; darüber
musste sie lächeln, als sie am ersten Abend in dem neuen Haus den ersten Teller
abtrocknete. Und auch die absurde Aussicht darauf, dass irgendwann - natürlich
noch nicht gleich, aber irgendwann - ihre Schulden wachsen würden, wenn erst
einmal auch die leer stehenden Zimmer bewohnt waren, auch die ließ sie lächeln.
Sie hatte noch kein einziges Wort einer Story geschrieben, doch zum ersten Mal
seit Langem hatte sie das Gefühl, in ihrer eigenen Geschichte zu leben, und
das war ganz bestimmt noch besser.
    Seit
damals sind erst anderthalb Jahre vergangen, trotzdem fühlt es sich immer noch
an wie das Leben von jemand anderem. Draußen vor dem Fenster sind die hübschen
Gehölze gerodet worden, und die ganze Siedlung droht in ein einziges riesiges
Schlammfeld abzurutschen. Eines Tages, so hat man ihnen versprochen, wird hier
ein Technologiepark sein; im Augenblick sind da nur große Schwielen und
klaffende Wunden, jede davon mit Dutzenden winziger Pflöcke markiert, als würde
die geschundene Haut der Erde einer Art Akupunktur oder vielleicht auch einer
Folter unterworfen; den ganzen Tag schürfen die Bulldozer, rotierende
Sägeblätter fressen sich durch Beton, und die letzten Baumwurzeln werden
ausgegraben und zerstückelt.
    »Wir
hätten das Kleingedruckte lesen sollen« - mehr fällt Howard nicht zu dem Thema
ein. Er muss ja auch nicht jeden Tag hier verbringen und sich das anhören. In
den letzten Wochen hat sich alles noch verschlimmert, durch allnächtliche
Feuerwerkapokalypsen, begleitet von heulenden Autoalarmanlagen und bellenden
Hunden, und durch regelmäßige Stromausfälle, weil die Buddler in dem
entstehenden Technologiepark immer wieder einmal Kabel durchtrennen.
    Sie
zündet sich eine Zigarette an und starrt auf den Cursor, der sie unbarmherzig
anblinkt. Dann beugt sie sich wie aus Rache vor und hämmert in die Tasten:
     
    Wenn
die Speichertechnologie sich im derzeitigen Tempo weiterentwickelt, werden
demnächst Daten im Umfang der gesamten Lebenserfahrung eines Menschen auf
einem einzigen Chip Platz finden.
     
    Sie
lehnt sich zurück und liest den Satz noch einmal durch. Rauchsträhnen kriechen
träge über ihre Schulter.
    Wegen
des verlogenen Kriegs im Irak ist man als Amerikaner im Ausland zurzeit nicht
auf Rosen gebettet. Es ist tatsächlich schon vorgekommen, dass wildfremde
Menschen, wenn sie ihren Akzent gehört haben, Halley auf der Straße - oder im
Supermarkt oder an der Kinokasse - angesprochen und ihr wegen dieser neuerlichen
Schandtat ihres Landes die Meinung gesagt haben. Bei der Jobsuche war ihre
Herkunft jedoch kein Problem gewesen. Ganz im Gegenteil: Für die hiesigen Geschäftsleute
und Techniker war ein amerikanischer Akzent buchstäblich die Stimme der
Autorität, und alles, was sie sagte, wurde wie eine Direktive vom Mutterschiff
behandelt. Und noch eine Überraschung: Die Iren sind verrückt nach Technik. Sie
hatte gedacht, ein so geschichtsträchtiges Land neige womöglich

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