Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
konnte.«
Kristin starrt Harald die ganze Zeit an. So kenne ich sie gar nicht. » Sag bloß, du bist sprachlos?«
» Ja. Gib mir zehn Sekunden …«
Ich sollte besser darauf achten, wem ich welche Ratschläge gebe. Oder einfach die Klappe halten.
Wir stapfen in der Anlage voran, die die Erinnerung an den Krieg bewahren soll, dafür aber eine eigenartige Selbstironie aufweist: Besucher können an einem Schießstand ins Gelände ballern, und im Souvenirshop werden amerikanische Plastikpanzer verkauft. Feuerzeuge gibt es in Form von Handgranaten.
Auf dem Waldweg hebe ich einen Granatsplitter von einer US -Bombe auf. Kurios, die liegen da noch überall herum, wie Puzzleteile. Nach den Tunneln schlängelt sich der Weg an Bäumen vorbei zum Ausgang, den ich als Letzter erreiche.
» Fast hätte ich ein paar Kamele fotografiert!«, sagt Walter aufgeregt, als ich einsteige.
» Was? Hier waren welche?« Ich kann es nicht glauben.
» Ja, aber jetzt sitzen sie alle wieder im Bus.«
Durch einen Wald von Kautschukbäumen fahren wir in den nächsten Ort: nach Tay Ninh, oder so ähnlich, um einer rituellen Handlung der Caodai -Sekte zuzugucken. Die gibt es ausschließlich in Vietnam, und sie vereint sämtliche Glaubensrichtungen. Buddha, Mohammed, Christus und Konfuzius gehen hier offenbar alle in eine Kirche.
» Caodai ist ein Religions-Cocktail«, weiß Toni.
Aha, Religion ist für diese Sekte also kein Pulverfass, sondern ein Sammelbecken. Allerdings ein sehr buntes! Der riesige Dom wirkt wie ein überdimensionales Knallbonbon aus einer Phantasiewelt, innen ausgemalt in den roten, blauen und gelben Farben aller Religionen und wie mit Zuckerguss verziert.
Die Kirchenhalle füllt sich mit friedlichen einheimischen Menschen. Und mit Touristen. Auf der Empore stelle ich mich neben Sven, abwartend, lauernd. Da, jetzt schaut er schon wieder Jana hinterher. Dabei ist er doch eindeutig der unhippeste Surfer in der Szene. Seine Ansprüche auf Jana kann er schon mal pensionieren lassen!
Ja, ich hätte nicht übel Lust, ihm in die Fresse zu hauen. Oder ihn über das Geländer zu stoßen. Nur würde das weder aus christlicher noch aus buddhistischer Sicht gutgeheißen, und Mutti wäre erst recht nicht amüsiert. Hat er ein Glück, dass ich ruhig bleibe, also jedenfalls nicht direkt eskaliere. Wortlos starren wir auf die skurrile Gebetszeremonie. Sprachlos allerdings auch, weil Menschen in bunten Gewändern scheinbar unkoordiniert durcheinanderlaufen, so religiös wie chaotisch gleichermaßen – eine beeindruckende Vorstellung.
» Na, Blödmann, so dicht neben dir würde ich ja sonst höchstens am Pissoir stehen«, sage ich zu Sven.
So, damit hätte ich die Tür zur Nächstenliebe hart zugeschlagen!
» Was ist denn mit dir los?« Er schüttelt kurz den Kopf, als hätte ich ihn aus seinen Gedanken gerissen.
Gedanken an Jana? Die soll er einstellen, und zwar ab sofort!
» Du wirkst ja schon ziemlich feminin.« Ha, was für ein verbaler Schlag in die Magengrube!
» Wird das jetzt ’n Schwanzvergleich oder was soll das?«, murrt er.
» Ach was, so schwer soll ich gar nicht heben.«
Als wir ins Lokal laufen, rücke ich nahe genug heran, um sie riechen zu können. Nein, Jana riecht nicht, sie verströmt ein verführerisches Aroma.
Doch mein Geruchsgenuss wird jäh blockiert, als Schweiß dazwischenwabert. Penetranter Schweiß von bierbäuchigen Männern, die Muskelshirts tragen. Schweiß, der nicht mehr Ausdünstung ist, sondern Ausfluss. Oh bitte, die haben mir beim Lunch gerade noch gefehlt: britische Tölpel-Touristen, die schon an den Stränden Mallorcas nerviger sind als Sandflöhe. Bei denen wünscht sich sogar die Sangria, ein antialkoholisches Getränk zu sein.
Diese Tommys, sie mampfen und mümmeln am Nachbartisch derart ungeniert, dass Mutti erschrickt. » Die haben ja noch weniger Esskultur als du, mein Junge.«
Sie knallen die geleerten Biergläser zurück auf die Tischplatte und fotografieren sich gegenseitig mit dem Chefkoch. Schaurig, wie Urlauber in der eigenen Kolonie benehmen sie sich. Schließlich greift eine Frau zum Mikrofon und lallt die Songzeilen, die auf dem Bildschirm erscheinen. Von Singen kann keine Rede sein.
» Schiefer geht’s echt nicht«, knurre ich.
» Karaoke hält sie wohl für eine alte vietnamesische Folkloretradition.« Erst recht an seinem Geburtstag bleibt Walter unerschütterlich fröhlich, ich mag ihn einfach.
Nicht dagegen diese Frau, die den Fernseher immer lauter stellt,
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