Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
sich von 1960 bis 1975 vor den Luftangriffen der Amerikaner zu verbergen. Außerdem haben wir Vietnamesen aus diesem weitläufigen unterirdischen Netz heraus unsere Abwehr organisiert.«
Der Eintritt kostet umgerechnet vier Euro. Dafür erhält man allerdings zwei Tickets: eines für den Eintritt und das andere für den Besuch der Stätte. Klingt kurios, aber genau so ist es.
In der Anlage selbst wird rasch deutlich, wie dieser Untertagebau auf drei Etagen funktioniert hat. Das muss man sich mal vorstellen: Aus US -Granaten fertigte man Werkzeuge, mit denen die Tunnel ausgehoben wurden. Von Hand, wie bei den Maulwürfen. Was für ein unglaublicher Aufwand, umso mehr im feuchttropischen Urwald. Ja, die Erde lebt: Sogar eine Klinik und Schulen waren im Boden unterhalb der Bäume verborgen.
Bei seinen Erläuterungen gerät Toni angesichts der Leistung seiner Eltern-Generation richtig ins Schwärmen.
» Das Areal war auf seiner Gesamtlänge von 200 Kilometern so gut getarnt, dass selbst der Rauch der Feuerstellen unmerklich abzog.«
Daher haben die US -Soldaten diese Stadt mit den nach unten wachsenden Häusern lange nicht entdeckt. Und selbst als sie von den versteckten Eingängen erfahren hatten, konnten sie den kleinen und zierlichen Vietcongs nicht in die Erdlöcher folgen, weil die diagonal kaum einen halben Meter messen. Toni verdeutlicht, wie sich seine Landsleute im Untergrund versteckten: Flink windet er sich in einen schmalen Schacht unter dichtem Astgestrüpp und ist nicht mehr zu sehen.
Ich versuche es auch, bleibe aber stecken. Mein Oberkörper ragt noch aus dem »Kaninchenbau« heraus.
» Bruder, Foto!«
» Antje, och bitte.«
Nur halb abgetaucht sieht’s doch albern aus.
» Show machst du ja gerne, das muss man dir lassen.« Sven, was willst du denn? Und was soll dieser um Beifall heischende Blick zu Jana? He, Jana, schau nicht hin!
» Manchen steht es gut, mal in der Versenkung zu verschwinden«, sagt Jana.
Sie hat ihn angeschaut.
Auf Sven und seine dürftige Sicht der Dinge kann ich verzichten wie auf Pickel am Hintern. Sich einfach in meinem Windschatten an Jana ranzumachen, dieser Lump!
Frustriert stemme ich mich aus dem Erdloch und versuche, mich in dieser knatschgrünen Guerilla-Gegend abzulenken, die auch oberhalb der Tunnel immer noch sehr abenteuerlich aussieht, mittlerweile allerdings eher wie ein Waldspielplatz denn ein Kriegsschauplatz. Die Verteidigungsfallen, in die die Amis im Unterholz gestolpert sind, erscheinen mir wie aus dem Mittelalter. Ein falscher Tritt auf dem Waldboden – und sie lagen, auf Bambusspitzen aufgespießt, in Erdgruben, die getarnten Tierfallen ähneln. Da nützte den Marines auch ihre materielle Überlegenheit nichts.
80 Zentimeter breit und 1,20 Meter hoch sind die Ausmaße der Cu-Chi-Tunnel heute: Für Touristen wurden eigens etwas breitere Röhren nachgebaut, damit sie nachfühlen können, wie es ist, ins Untergeschoss zu schlüpfen. Ich, der Showmaker, bin natürlich mit dabei. Puh, die dunklen Röhren sind wirklich eine extreme Erfahrung. Ich taste mich voran, erst in der Hocke, dann auf allen vieren. Je weiter ich ins schwarze Loch krieche, desto enger scheinen sich die Wände um uns zu schließen.
Direkt vor mir schlängelt sich Jana durch den Tunnel. Wie süß sie ist! Selbst vorgebeugt, in krummer Haltung, wirkt ihre Ausstrahlung auf mich. Es ist ihre ganze natürliche und unbekümmerte Art, die mich blendet, selbst im nur fahlen Licht. Niedlich, wie geschmeidig sie durch den kahlen Kanal krabbelt, fast katzenhaft. Sie ist so faszinierend! Warum ist mir das vor knapp drei Wochen noch nicht aufgefallen?
Klatschnass geschwitzt, komme ich nach 50 Tunnelmetern zurück ans Licht gekrochen. Ich bleibe kurz auf dem Waldboden hocken und atme durch. Die Oberschenkel brennen, der Kopf dampft, und heute Abend qualmen bestimmt die Socken.
Oberhalb der Röhren schlendern wir auf einem Pfad weiter, eine junge Vietnamesin läuft uns entgegen. Sie tuschelt in ihr Handy und stolziert glucksend an uns vorüber. Plötzlich dreht sich Harald um und ruft ihr laut hinterher.
» Hey, Schöne, darf ich heute Nacht deinen Tunnel sehen?«
Darauf wendet er sich mir zu, mit einem Gesichtsausdruck, als wolle er sagen: »Na, den Spruch habe ich doch gut rausgehauen?«
Mensch Harald, doch nicht so! Damit der peinliche Moment nicht eskaliert, rede ich leise auf ihn ein. » Hey, so habe ich das gestern nicht gemeint. Ein Glück, dass sie dich nicht verstehen
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