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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Vor Gaetanos Zimmer blieb er abrupt stehen, sah meine Mutter an, die vor ihm stand, die Hand auf der Türklinke, sehr blass. Als er zu Gaetano ins Zimmer ging, wollte ich unwillkürlich die Treppe hinuntereilen, ihm folgen. Doch Mutter stand immer noch vor der Tür, hoch aufgerichtet, sehr gefasst. Sie hob leicht die Hand.
    »Nicht jetzt, Cecilia«, sagte sie.
    Ihre leise, kalte Stimme jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Eine solche Stimme hatte ich nie zuvor bei ihr gehört. Und dann drehte sie sich um, ging in Gaetanos Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Stille kehrte ein, nur die Dienstboten flüsterten, machten sich mit leise klappernden Töpfen in der Küche zu schaffen. Es war fünf Uhr; der Himmel wurde grün, und im Garten sangen die ersten Vögel.
    Ich durfte erst am Nachmittag zu ihm. Mutter sagte, dass er mich sehen wollte. »Aber nur einen Augenblick, ja? « Ich nickte und trat leise ein. Im Zimmer war es trotz des Sonnenscheins dunkel. Die schweren Vorhänge zugezogen, das Licht fiel nur durch einen schmalen Spalt. Dumpfe, süßliche Gerüche erfüllten das Zimmer, Gerüche von Blut, Äther, Spiritus, Jodtinktur. In einem Eimer lag blutiges Verbandszeug. Auf der Kommode waren frische Tücher und Bandagen aufgestapelt. Behutsam trat ich näher. War die kleine Gestalt auf dem Bett wahrhaftig Gaetano? Ja, er musste es sein, denn seine verkrusteten Lippen zuckten, als ich mich über ihn beugte. Sein Gesicht war gelb wie Wachs, die Augen waren verschleiert, vom Schmerzmittel, vom Fieber. Ich sah die Stellen, wo seine Beine und sein linker Arm hätten sein sollen und wo jetzt nichts mehr war. Da ließ mein Zittern plötzlich nach. Ruhe kehrte in mir ein, ich fühlte mich stark. Ich setzte allen Ehrgeiz darein, das Allerschlimmste gefasst zu ertragen, um Gaetano zu zeigen, dass er sich auf mich verlassen konnte. Seine unversehrte rechte Hand lag auf der weißen Decke. Seine Finger deuteten eine Bewegung an. Ich streckte die Hand aus, nahm die seine, nicht zu fest, weil ich ihm nicht weh tun wollte, streichelte sie sanft. Ich spürte den klebrigen Schweiß in seiner Handfläche. Endlich bewegten sich seine Lippen.
    »Kleine Schwester ... «
    Seine Stimme war nur ein Hauch. Ich schluckte, brachte kein Wort hervor. Was sagt man zu einem Menschen, der jung und fröhlich und stark war und jetzt nur noch ein Krüppel ist? Er drückte meine Hand. Seine Augen glänzten und schweiften umher.
    »Ich ... bin an den Beinen empfindlich. Es schmerzt an den alten Stellen. Die Nerven wissen noch nicht, dass sie nicht mehr da sind. Sonderbar, nicht wahr?«
    Ich nickte stumm. Gaetanos Gesicht war auf seltsame Weise eingesunken, wie vertrocknet, mit tiefen schwarzen Ringen unter den Augen. Er sprach weiter, heiser und stockend.
    »Es ... es ist schon in Ordnung. Ich habe ja noch die rechte Hand, das genügt. Ich will Marineingenieur werden. So wie früher, als wir Sandburgen bauten, weißt du noch?«
    Seine Zähne schlugen aufeinander. Er zitterte vor Kälte, obwohl seine Haut glühend heiß war. Er phantasierte. Ich wollte ihm nicht widersprechen, nickte abermals, deutete ein Lächeln an.
    »Ja, ich entsinne mich.«
    »Aber nicht sofort«, sagte er. »Von mir ist ja nur noch die Hälfte da. Ich muss mich erst daran gewöhnen ...«
    Seine Hand löste sich aus meiner, tastete den Stumpf entlang. Dabei blickten seine Augen leicht erstaunt, als wenn er nicht glauben konnte, dass er nichts mehr fühlte.
    »... warten, dass die Wunden heilen. Das wird wohl noch eine Zeit dauern. Ich war lange im Wasser. Und keine Füße mehr, keine Knie! Ich habe es nicht sofort gemerkt. Saburo hat mich auf seinem Rücken getragen. Er war ein guter Schwimmer. Aber die Brecher waren so hoch! Und überall Trümmer. Er ... er hätte es fast nicht geschafft.«
    »Saburo?«, flüsterte ich. »Wo ist Saburo?«
    Sein Kopf sank zurück, seine Augen sahen ins Leere, als er sie noch einmal öffnete, meine Hand fasste und mit ruhiger Stimme sagte:
    »Saburo ist tot. Auf der Rückfahrt wurde die Sakaki von einem Torpedo getroffen. Die Überlebenden konnten von der Besatzung der Matsu an Bord genommen werden. Aber das Geschoss hatte in die Kommandobrücke eingeschlagen. Die Offi ziere wurden in glühenden Eisenteilen eingeklemmt. Für sie kam jede Rettung zu spät. Takeo hat seinen Bruder an dem Tuch erkannt. An dem Tuch aus Muschelseide, erinnerst du dich, kleine Schwester?«

30. Kapitel
    G aetano lebte noch zwei Monate. Als man ihn nach Hause

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