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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Mühe auf die Beine kam.
    »Na schön, du hast deinen Stress. Und ich – ich brauche jetzt ein Atelier. Im Gegensatz zu dir werde ich nur noch ein paar Jahre tauglich sein und will keine Zeit vertrödeln.«
    »Ich weiß wirklich nicht«, sagte ich, »was für Gerümpel oben herumsteht.«
    In Francescas Augen leuchteten helle, grausame Funken. »Alte Erinnerungen auffrischen kann sehr anregend und unterhaltsam sein!«

5. Kapitel
    W ir stapften die vier Steintreppen hinauf; Francesca ging als Erste und legte keine Verschnaufpause ein. Die letzten Stufen wurde von der Dunkelheit beinahe verschluckt, weil die Birne nur schwach brannte. Sie mündeten in einen schmalen Eingangsflur, in dem verschiedene ausrangierte Möbel standen. Francesca ließ ein leises, raues Lachen hören.
    »Kannst du dir das vorstellen? Früher haben Lavinia und ich hier mit der Nanny gewohnt. Wir Kinder aßen für uns, mittags später wegen der Schule und abends früher, weil wir ins Bett mussten. Wir hatten eine Nanny und bekamen wenig Küsse. Bei Gesellschaften wurden wir wie dressierte Affen vorgeführt. Die Nanny – ich glaube, sie hieß Daisy – band Lavinia und mir Schleifen ins Haar. Wir mussten die Damen und Herren artig begrüßen und uns ans Klavier setzen. Ich sollte meine Aquarelle vorführen, aber ich weigerte mich, was mir jedes Mal, wenn der Besuch abmarschiert war, Ohrfeigen einbrachte. Daisy sorgte für Erziehung durch Schläge, das war damals die Norm. Aber bei mir schlug sie richtig zu, während Lavinia nur eine Strafpredigt bekam. Am Sonntag und an Feiertagen durften wir mit den Großen essen. Zu den Mahlzeiten zog die Familie sich um. Wir aßen am Kindertisch, wo Daisy uns beibrachte, wie wir mit Fischgabel und Dessertlöffel umzugehen hatten. Danach machten wir einen Knicks, und ab nach oben! Melissa kam, wenn wir schon im Bett lagen, und sagte mit uns das Vaterunser auf. «
    »Melissa? «, murmelte ich.
    »Deine Großmutter, schon vergessen? Wo hast du eigentlich deinen Kopf?«
    »Ich habe sie doch nie gekannt«, sagte ich schuldbewusst.
    »Melissa war die einzige Frau, vor der James Respekt hatte. Notgedrungen, sie hatte ja auch das Geld in die Ehe gebracht. Er verkündigte seine Wichtigkeit nur dadurch, dass er mit der Peitsche knallte.«
    Sie machte ein paar Schritte auf eine weiß gestrichene Tür zu.
    »Da war Lavinias Zimmer.«
    Ich wollte die Tür öffnen, doch sie ging nur einen Spalt auf und blieb am Rand eines alten Teppichs hängen. Ich zwängte mich durch den Spalt, schob mit dem Fuß den hinderlichen Teppich zur Seite, bis die Tür endlich aufgedrückt werden konnte. Das Zimmer war hell. Durch das Fenster, eine ausgebaute Dachluke, flutete klares, rosiges Morgenlicht. Die Wände waren mit verblichener Blümchentapete überzogen. Hier hatte man sämtliche Möbel zusammengetragen, die früher zu der Ausstattung der Kinderzimmer gehörten: schmale Schränke, kleine Betten, niedrige Tische und Rohrstühle, alle weiß gestrichen. Francesca wies auf einen Schaukelstuhl mit Pferdekopf, ein Museumsstück, tatsächlich, aber das Haus war ja vollgestopft mit solchen Dingen.
    »Der gehörte Lavinia. Als ich als Elfjährige aus Cambridge zurückkam, war Lavinia erst sechs, aber sie hatte das schönste Zimmer und die schönsten Spielsachen. Wie ich sie gehasst habe, diese eitle Ziege!«
    Ich starrte sie an.
    »Was hast du denn in Cambridge gemacht?«
    »Ich sollte dort aufwachsen.«
    Jetzt war ich doch wirklich sehr erstaunt.
    »Davon habe ich nie etwas gehört!«
    »Nein, woher auch? Man hatte mich abgeschoben, fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. ›Ni vu ni connu‹, wie die Franzosen sagen. Aber die Rechnung ging nicht auf. Die Familie musste mich zurücknehmen, sich in Eile und Schrecken eine glaubhafte Geschichte ausdenken!«
    Sie deutete auf die nächste Tür, ohne dass ich dazu kam, mich mit dieser neuen, überraschenden Mitteilung zu beschäftigen.
    »Da war mein Zimmer. Ungeheizt natürlich. Die Wärme steigt nach oben, hieß es, und Kinder frieren ja nicht. Die Toilette befand sich zwei Stockwerke tiefer, aber wir hatten Nachttöpfe. Und Wärmflaschen, wenn im Winter die Temperatur unter null sank.«
    Ich bahnte uns den Weg, indem ich Gerümpel auf die Seite rückte, Kisten mit Porzellan, Teppichrollen, vergilbte Gardinen, Kartons voller Spielsachen.
    »Achtung, dein Kopf«, warnte mich Francesca.
    Ich zog den Kopf ein, um dem Dachsparren auszuweichen, und stieß die Tür auf. Wir betraten das Zimmer,

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