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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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in Hamburg in der Chefetage von Azur sitzt. Wir trafen uns in Zürich, wie wir das oft machen, und redeten den ganzen Abend. Ich sagte Annabel, auf was ich verzichten konnte und auf was nicht. Die Reisen zu den Antillen, zu den Islas von Honduras, zu den Bahamas und zum Amazonas, die konnte sie mir streichen. Ich hatte so vieles gesehen, gehört, gefühlt und erlebt wie andere in ihrem ganzen Leben nicht. Im Nachhinein erschienen mir sogar die Gefahrenmomente – und es hatte etliche gegeben – wie komische Zwischenspiele. Jetzt wurde das alles zu zeitaufwändig. Annabel sagte, kein Problem. Sie hat auch eine alte Mutter, um die sie sich kümmern muss. Sie machte mir einige Vorschläge: keine Nonstop-Reisen mehr, nur kürzere Einsätze. Ferner leitet Azur eine Stiftung mit Sitz in Monaco, die Umweltaktionen unterstützt. Eine kleine Wohnung steht jederzeit zur Verfügung. Ich gehe ein paar Mal im Jahr hin und sortiere die eingegangenen Projekte, bevor sie dem Stiftungsrat in New York vorgelegt werden. Ich nehme an Seminaren teil, unterschreibe Verträge und sehe zu, dass das Geld richtig ausgegeben wird. Man geht wohl davon aus, dass ich nicht mogele, weil meine Familie ja im Bankgeschäft ist.«
    Francesca warf ein Stück Zucker in ihren Kaffee.
    »Jetzt bist du also Finanzexpertin?«
    »Nein. Ich lasse den Computer arbeiten. Aber man ist mit mir sehr zufrieden. Ich habe – sagen wir mal – den richtigen Überblick.«
    »Macht das Spaß?«, fragte sie.
    »Wenn wir ein gutes Projekt unterstützen, dann schon. Aber richtig glücklich bin ich nur im Meer. Ich bin Freitaucherin, komme ohne Flaschen über fünfzig Meter tief und kann über vier Minuten unter Wasser bleiben.«
    »Wie bringst du das fertig?«
    »Mit Atemübungen. Man kann die Lunge kräftigen.« »Tauchst du noch viel?«
    »Vor ein paar Wochen war ich im Norden von Island. Gegenwärtig experimentiert Azur mit arktischem Plankton aus der artenreichsten Zone, die bis zweihundert Meter Tiefe reicht. Im arktischen Ozean ist die Unterwasserwelt unvorstellbar schön, schöner als jeder Traum, du kannst es dir nicht vorstellen...«
    »Vielleicht doch. Ich bin Malerin.«
    Ich erwiderte ihr Lächeln.
    »Das Meer ist glühend blau.«
    »Glühend?«
    »Ja, ein Blau, das vibriert, als ob es atmen würde.« Sie nickte vor sich hin.
    »Ich verstehe. Und die Kälte?«
    »Macht mir nichts aus. Wenn ich Neopren trage, spüre ich weder Kälte noch Wärme. Ich schwebe durch einen Nicht- Raum, zwischen unbekannten Strukturen aus Eis und Licht. Ich fühle mich verwandelt, schwerelos und unverwundbar wie ein Geist ...«
    Sie sagte, als ob sie an etwas ganz Bestimmtes dachte:
    »Dann hat also das Meer keine Geheimnisse mehr für dich?«
    »Das Meer ist ein fremdes Element, Francesca, eine rätselhafte Welt. Da gibt es Tiere, die wir für Pflanzen halten, und Pflanzen, die sich bewegen wie Tiere. Im Meer ist die Evolution noch nicht abgeschlossen. Wir haben einige Erkenntnisse über die Lebenszusammenhänge gewonnen, das ist alles.«
    Und weil ihre dunklen Augen so fest in die meinen blickten, sprach ich auch von den Gefahren des Temperaturanstiegs, von der Verschmutzung der Küstengewässer, von den bedrohten Korallenriffen, von Albatrossen, die Plastik fraßen, bis ihr Magen zerriss, von Tankern, die ihre stinkende Fracht ins Meer ausleerten.
    Sie sagte geistesabwesend, während sie mit ihrem Glitzerschal spielte:
    »Ja, wir sind ungeeignet, auf diesem Planeten zu leben ...« »Wie?«, fragte ich.
    »Ich meine, moralisch ungeeignet.« Francesca sprach langsam und bitter. »Eines Tages verdunsten alle Ozeane, und die Erde trocknet aus. Und wir sterben aus als Spezies. Aus mit der Menschheit – aus! Ohne dass uns jemand eine Träne nachweint. Und weißt du, was? Ich finde, das ist die einzig richtige Lösung.«
    Ihre Lippen zuckten leicht. Und da gab es zwischen uns ein jähes Innewerden, eine Art geistige Begegnung, als stünde ich vor einer geheimnisvollen Schwelle, einer Grotte ähnlich, die sich in dunklen Gewässern öffnet. Sie schien noch etwas sagen zu wollen, ließ es aber. Wir schwiegen beide ein paar Atemzüge lang. Schließlich trank ich meinen Tee aus.
    »Himmel, jetzt habe ich wieder einen dicken Bauch! So viel Rührei bekommt mir nicht.«
    Francescas dünne Finger tasteten über den Tisch.
    »Junge Frauen sollten wissen, was sie morgens zum Frühstück essen und mit wem sie abends ins Bett gehen.«
    Ich starrte sie an, während sie sich am Tisch hochzog und mit

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