Muschelseide
schwach. »Es ist schon ein bisschen so ...«
»Und was hast du jetzt vor?«
Ich sagte, als spräche ich von gleichgültigen Dingen:
»Ich gehe jetzt der Sache nach. Ein italienischer Freund wird sich für mich informieren. Dann sehe ich weiter.«
Ihr höhnischer Ausdruck verschwand. Sie fuhr sich wie im Traum mit den Fingern über die Stirn.
»Auf eine wie dich hat Cecilia schon lange gewartet.« Ich zuckte leicht zusammen.
»Ach, lass doch Cecilia aus dem Spiel!«
Sie schaute mich an, eigentümlich abwesend, als wäre sie besessen von etwas und nur halb da.
»Du weißt alles, wie? Weißt du dann auch, dass früher die jungen Menschen starben, ehe sich das Leben für sie auftat? Zweifelst du an ihrer Bewusstheit? Was, glaubst du, geschah mit ihrer Geisteskraft? Es gab einen Willen damals, der nicht sterben wollte, der die Wände des Bewusstseins sprengte! Weil sie keinen Körper mehr hatten, nur den dunkel lebendigen Geist. Hörst du die Stimmen der Toten nicht? Siehst du nie ihren Schatten? Hast du nur die enge Welt deines Verstandes und darüber hinaus nichts?«
Blass und in sich versunken stand sie da, sah mich unverwandt an, während sie sprach. Es bebte etwas in der Luft, als wäre ausgesprochen worden, was nicht hätte gesagt werden dürfen. Meine sachliche Natur war beunruhigt. Ich wusste wirklich nicht mehr, was ich sagen sollte. Seitdem sie wieder in La Casa degli Uccelli war, schien sie in jedem Raum auf die Stimmen der Toten zu lauschen. War sie am Ende doch ein wenig verrückt?
Ich nahm mich zusammen und sagte so ruhig wie möglich:
»Ich denke, nach dem Tod kommt gar nichts mehr.«
»Ja, manche Dinge verlieren sich auf halbem Weg. Oder sie kommen vom halben Weg nicht mehr zurück«, erwiderte sie fast freundlich. »Bilde dir nicht ein, dass du das Rätsel lösen könntest!«
Ich hatte sie allmählich satt.
»Im Moment beschäftigt mich ein ganz anderes Rätsel: Warum hast du Cecilias Schal beschädigt?«
»Beschädigt?«
Sie zog die Silben, als wollte sie fragen, ob ich wahnsinnig sei. Ihre gerunzelten Brauen bildeten über den Augen zwei waagerechte schwarze Balken. Ich ließ mich nicht einschüchtern.
»Du hast den Schal in zwei Hälften geteilt. Ziemlich sauber, gebe ich zu. Und die Fäden gut vernäht. Aber du hast ihn verunstaltet, tut mir leid. Und das ist keine Spekulation, sondern Folgerung. Das Muster stimmt einfach nicht mehr.«
Ihr Ausdruck war jetzt ausgesprochen belustigt.
»Du hast gute Augen!«
»Das gehört zu meinem Beruf. Wer richtig hinsieht, muss am Ende auch begreifen.«
Ich wickelte den Schal von meinem Hals, hielt ihn vor das Fenster. Der Stoff schimmerte grünlich rosa, mit dem schwachen Schein eines Regenbogens, auf dem sich die Muster wie Schatten bewegten.
»Die Algen, die Fische und die Seepferdchen wurden als Rahmen für den Seestern gewebt. Dadurch, dass er am Rand statt in der Mitte nur zur Hälfte sichtbar ist, gewinnt zwar die Phantasie Spielraum, aber die Ästhetik leidet.«
In Francescas zusammengekniffene Augen trat Anerkennung.
»Warum bist du eigentlich nicht Malerin geworden?« »Weil mir die Forschung mehr Spaß machte.«
Ich wickelte den Schal um meinen Hals. Das Gewebe war hauchzart wie der Flügel eines Schmetterlings und passte sich jeder Temperatur an. War die Luft warm, spürte ich kaum, dass ich etwas auf der Haut hatte. Und während der ganzen Zeit ruhten Francescas schwarze Augen auf mir, als wollten sie den Anblick ein für allemal erfassen. Schließlich sagte ich:
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
Sie machte eine zerstreute Bewegung.
»Welche Frage?«
»Warum du den Schal zerschnitten hast. War er dir zu lang?«
»Oh, gar nicht!« In ihre Augen trat eine Art Zorn, aber gleich darauf zuckte es ein bisschen um ihren Mund. Sie antwortete ruhig. »Der ursprüngliche Schal war so leicht, dass man ihn durch einen Ring ziehen konnte. Cecilia wusste, dass sie sich an etwas Einzigartigem vergriff.«
Ich war einigermaßen überrascht, ja ziemlich verwirrt. Ich brauchte einige Sekunden, um mich wieder zu fangen.
»Dann war es also Cecilia, die den Schal zerschnitten hat?«
»Eine Hälfte hat sie behalten, die andere verschenkt«, erwiderte Francesca mit der gleichen Ruhe. Dem sonderbaren Trotz, der darin lag, war ich nicht ganz gewachsen.
»Warum hat sie das getan?«
»Nun, sie hatte wohl ihre Gründe«, sagte sie unbestimmt. Ich folgte meinen Gedanken. Mir war nicht ganz klar, wohin sie gehen würden.
»Francesca«,
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