Muss ich denn schon wieder verreisen?
markiert ein mittelschwerer Bleigurt die nur zu erahnende Mitte seines Körpers. Er steckt den Schnorchel in den Mund, kontrolliert das an seiner Wade befestigte Messer, greift zu der bereitliegenden Unterwasserkamera, einem unförmigen Gehäuse mit zwei riesigen Scheinwerfern an jeder Seite, und watschelt schwerfällig zum Strand. Kaum hat er mit den Füßen Wasserberührung, läßt er sich nach vorne fallen, wobei er die Arme mit der Kamera nach oben streckt, während der Bauch regelmäßig über den Meeresboden schrappt. Und dann wird losgepaddelt.
Bis zum letzten Tag haben wir uns den Kopf zerbrochen, was, um alles in der Welt, Neptun eigentlich fotografiert hat. Sicher, es gab in Ufernähe noch einige lebende Korallen, doch die konnte man im Vorbeigehen besichtigen, denn an diesen Stellen ging einem das Wasser nur bis zu den Knien. Das Hausriff dagegen lag auf der anderen Seite, und bis dorthin ist Neptun nie gekommen. Dafür ist es mir zum Verhängnis geworden.
Wenn Steffi kurz vor dem Mittagessen von ihrer Tauchfahrt zurückkam und sich nach dem Essen im klimatisierten Zimmer von beiden Anstrengungen erholt hatte, war es mit meiner Erholung vorbei. »Jetzt joggen wir einmal um die Insel!« hieß es, oder: »Zum Laufen ist es heute zu heiß, wir schwimmen einfach drumherum.«
Zu heiß war es immer, Langstreckenschwimmen ist nicht mein Fall, also machte ich ihr den Vorschlag, ich könnte es doch auch mal mit Schnorcheln versuchen.
Sofort trabte sie davon und kam mit den für ein solches Unternehmen notwendigen Utensilien zurück. Jede Tauchbasis verleiht sie (und verdient nicht schlecht daran!).
Als erstes lernte ich, daß man in die Maske spucken und die unappetitliche Brühe verreiben muß, bevor man sie wieder abspült. Daß man nach dieser Prozedur eine bessere Sicht hat, halte ich für ein Gerücht.
»Jetzt legst du dich einfach auf den Bauch, Hände an die Hosennaht, und bewegst ruhig und gleichmäßig die Flossen!« befahl meine Lehrerin. Ich tat es und ging prompt unter.
»Du sollst keine Schwimmbewegungen machen, sondern paddeln! Also noch mal!«
Ich paddelte und hatte nach wenigen Sekunden einen Krampf im rechten Bein. »Wie kann man sich bloß so dämlich anstellen«, schimpfte sie, nachdem sie mich in die Vertikale gehievt hatte. »Du bewegst dich, als würdest du radfahren. Du darfst die Knie nur ein kleines bißchen anwinkeln. Und laß endlich den Kopf unten, wozu hast du denn den Schnorchel?«
»Das weiß ich auch nicht«, prustete ich, die Plastikröhre ausspuckend, »oder kannst du mir mal erklären, weshalb ich bei jedem Atemzug den Mund voll Wasser habe? Vielleicht ist das Ding porös?«
Sie probierte es selber aus. »Da ist alles in Ordnung.« Allerdings war mir dabei aufgefallen, daß Steffi das Mundstück vor die Zähne geschoben, während ich es komplett in den Mund gesteckt hatte. Das sagte ich natürlich nicht.
Der nächste Versuch klappte besser. Vermutlich hätte mich noch jede Meeresschnecke überrundet, aber nach einer Viertelstunde Strampelei war Steffi zufrieden. »Jetzt gehen wir mal zum Riff rüber.«
Besagtes Riff erreichte man über eine Mole, an deren Ende eine Steintreppe ins Meer führte. Bei Flut wurden die untersten Stufen überspült und waren entsprechend glitschig. Mehr rutschend als abwärtssteigend bewältigte ich das Hindernis und plumpste ins Wasser. Jetzt mußte ich sehen, wie ich klarkam. Ich hatte keinen Grund mehr unter den Füßen, fing automatisch mit normalen Schwimmbewegungen an, wobei sich die Flossen als äußerst hinderlich erwiesen, soff ab, kam japsend wieder hoch, besann mich auf die mir eben noch eingetrichterten Anweisungen und paddelte los. Steffi hatte erst abgewartet, ob nicht vielleicht doch Rettungsmaßnahmen eingeleitet werden mußten, dann sprang sie ebenfalls ins Wasser. An der Hand zog sie mich hinterher und deutete schließlich nach unten. Da sah ich zum erstenmal ein bißchen von dem, was Taucher immer wieder in die Tiefe treibt: bunte Korallen, die sich in der leichten Strömung wiegten, kleine Fische, blau, neongelb, orange. Ein ganzes Aquarium tummelte sich dicht unter mir und war trotzdem unerreichbar. Mindestens sechs Meter lang hätte der Schnorchel sein müssen! Da tat sich eine Welt auf, von deren Schönheit ich nichts geahnt hatte.
Nach einer halben Stunde trieb mich Steffi aus dem Wasser, obwohl ich noch gar keine Lust dazu hatte. Das Riff war lang, ich hatte noch nicht einmal die Hälfte davon gesehen, aber jetzt
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