Muss ich denn schon wieder verreisen?
wußte ich wenigstens, womit ich mich vormittags beschäftigen konnte.
Vielleicht sollte ich noch erwähnen, daß ich die folgende Nacht auf dem Bauch liegend verbracht und in Gedanken jene Physikstunde rekapituliert hatte, in der die Reflexion von Sonnenstrahlen auf eine spiegelnde Fläche behandelt worden war!
Und dann lernte ich Reinhard kennen. Ich filmte gerade, gebückt und langsam rückwärts gehend, eine buntschillernde Eidechse, als ich auf dem normalerweise hindernisfreien Weg gegen etwas Weiches stieß. Ich drehte mich um und stellte fest, daß sich das Hindernis aus genau dem gleichen Grund auf dieselbe unübliche Art vorwärts bewegte, nur hatte es einen Einsiedlerkrebs im Visier.
»Nu isser weg!« sagte das Hindernis, bevor es sich zu seiner vollen Länge hochschraubte. Vor mir stand ein Indianer! Zwar kein direkter Nachkomme von Winnetou, denn der hatte keinen grauen Lockenkopf gehabt und schon gar keinen Vollbart, seine Haare hatte er mit einem bestickten Stirnband gebändigt und nicht mit einem zusammengeknoteten Frotteelappen, aber die Hautfarbe stimmte.
Nach Begutachtung der Kameras und dem bei Hobbyfilmern üblichen Erfahrungsaustausch über Brennweiten, Restlichtverstärker und ähnlichem Fachchinesisch erzählte Winnetou, daß er seit einer Woche auf der Insel sei, noch zwei vor sich habe und sich entsetzlich langweile. Seine Frau liege den halben Tag in der Sonne, die andere Hälfte verbringe sie beim Kartenspielen. »Imma unta dieselbe Palme und imma mit denselben Weibsbildern. Warum die hier rumsitzen und nich in Monte Carlo, mag der Deibel wissen. Da isset doch ooch warm. Wie isset, komm Se mit uffn Kaffee? Ick war jrade uffm Weg dahin, aba denn is mir der Krebs dazwischenjekommen.«
Warum nicht? Ich hatte den ins Meer gebauten, zur Hälfte auf Stelzen stehenden Coffeeshop ohnehin mal filmen wollen. »Ick muß mir bloß noch wat überziehn.«
Sein Bungalow lag weiter vorn. Im Vorübergehen pflückte er sein T-Shirt von einem Busch, streifte es über und sah nun, abgesehen vom Stirnband, gar nicht mehr wie ein Indianer aus. Reinhard Fink heiße er, Fink wie Meise, komme aus Berlin und habe eigentlich nach Bali gewollt. »Nich wegen der Meechen, det Alter habe ick nu wirklich hinter mir, sondern wejen der Tempel und der janzen Kultur.« Das alles habe ihm schon in Mexiko so gut gefallen und letztes Jahr in Tibet, »aba meine Elli hat jesacht, diesmal will se sich wieda erholen. Nu erholt se sich, und ick langweile mich zu Tode.«
»Haben Sie es denn schon mal mit Schnorcheln versucht?«
»Und ob! Macht ja ooch Spaß, is aba bloß ’ne halbe Sache. Wenn ick det allet so von oben sehe, möchte ick runta, bloß wenn man keene Kiemen hat oder wenigstens ’ne Lunge wie ’n Elefant, denn jeht det nu mal nich.«
In diesem Moment mußte mich wohl der Hafer gestochen haben. »Am Schwarzen Brett habe ich gelesen, daß morgen mittag Schnuppertauchen angesagt ist. Ob wir da einfach mal mitmachen?«
Reinhard zögerte keinen Augenblick. »Na klar. Vorausjesetzt, die schmeißen uns nich wejen Überschreitung der Altersjrenze raus. Wir sind doch beede Vorkriegsjeneration, oder irre ick mich da?«
Er irrte sich nicht, auch wenn er zwei Jahre jünger war als ich.
Tauchlehrer Conny, sichtlich erfreut über zwei potentielle Schüler, denn außer uns beiden war niemand erschienen, zerstreute unsere Bedenken. »Ich kenne welche, die fangen erst mit siebzig an, und bis dahin habt ihr doch noch eine Weile Zeit.«
In Taucherkreisen pflegt man sich grundsätzlich zu duzen, wobei weder Lebensalter noch Bekanntschaftsgrad eine Rolle spielen. Oft weiß man bei der Abreise gar nicht, wie Margit oder Jürgen, mit denen man jeden Tag zusammengewesen ist, eigentlich mit Nachnamen heißen.
»Dann kommt mal mit!« Wir folgten Conny zur Kostümprobe in die Baracke. Erst die vierte Tarierweste, unter Tauchern einfach Jacket genannt, paßte halbwegs, die anderen waren alle zu groß gewesen. Bei Reinhard saß gleich die erste wie maßgeschneidert. Anscheinend hat man als Taucher ein gewisses Körpervolumen mitzubringen.
»Das hier ist die Flasche«, erläuterte Conny, eins von diesen gelben Ungetümen auf den Tisch wuchtend, »und das ist der Lungenautomat.« Er holte ein tintenfischähnliches Gebilde mit etwas Metall obendrauf, an dem diverse schwarze Schläuche baumelten. An den Schlauchenden hingen auch wieder Apparaturen, und als ich die sah, wollte ich die ganze Sache gleich aufstecken. Bei meinem sehr gering
Weitere Kostenlose Bücher