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Muss ich denn schon wieder verreisen?

Muss ich denn schon wieder verreisen?

Titel: Muss ich denn schon wieder verreisen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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wiederzusehen. Ich wußte aber auch, daß es in Deutschland eine feste Beziehung gab oder auf gut neudeutsch: einen derzeitigen Lebensabschnittsbegleiter. Auf der letzten Buchmesse hatte ich ihn sogar kennengelernt.
    Als das Dessert aufgetragen wurde, war man zu der nahezu einhelligen Auffassung gekommen, daß Frau Marquardt eine sehr fragwürdige Person mit einem offenbar recht lockeren Lebenswandel sei, denn »in Tiberias hat sie ja auch schon einen Freund gehabt und ist erst morgens zurückgekommen«. Mehr oder weniger taktvolle Fragen nach ihrem Verbleib hatte sie an jenem Tag überhört, und dann war ja auch das Verschwinden von Elena und Alberto vorrangig gewesen. Die hatten sich zwecks Teilnahme an einer katholischen Frühmesse auf die Suche nach einer passenden Kirche begeben und auf dem Rückweg hoffnungslos verlaufen.
    »Was unternehmen wir denn jetzt?« fragte Jens tatendurstig, nachdem wir im Gänsemarsch den Speisesaal verlassen hatten und unschlüssig in der Halle herumstanden. »Stürzen wir uns ins Nachtleben?«
    »Gibt’s denn überhaupt eins?« fragte Uwe zweifelnd zurück.
    »Des däffä mä doch gar ned, des hot uns die Frau Marquardt verbode!«
    »Sie hat überhaupt nichts verboten«, stellte Gustl richtig. »Sie hat lediglich gesagt, wir sollen nach Möglichkeit nicht allein herumlaufen, jedenfalls nicht hier im arabischen Viertel, und wir sollen nicht in die Altstadt gehen, weil man sich dort im Dunkeln schnell verirrt. Klingt logisch. Müssen wir ja auch nicht.«
    »In der Neustadt ist bestimmt mehr los.« Jens sah uns der Reihe nach an. »Wir nehmen ein Taxi oder zwei. Wer kommt mit?«
    Robert natürlich, Herr und Frau Terjung, Gregor, doch als die beiden Turnschuh-Chaoten Interesse zeigten, traten Architekten zurück. »Mit denen kann man sich doch nicht in einer kultivierten Umgebung zeigen«, murmelte Susanne halblaut.
    Harald fand das auch. Wohl deshalb fiel ihm ein, daß er noch ein wichtiges Telefonat nach Deutschland führen müsse, was vermutlich längere Zeit in Anspruch nehmen würde. »In technischer Hinsicht ist man hier wohl doch noch etwas rückständig.«
    Die fünf Nachteulen trabten ab.
    »Wir haben einen gemütlichen Aufenthaltsraum.« Der Dame an der Rezeption ging unsere Herumsteherei wohl langsam auf die Nerven. »Und gleich daneben ist die Bar.«
    »Bar klingt gut!« Irene schwenkte nach links, wir anderen folgten.
    Der gemütliche Aufenthaltsraum erwies sich als Saal mit den Ausmaßen einer mittelstädtischen Bahnhofshalle und war ähnlich anheimelnd möbliert. Plastiksessel mit braunen und gelben Auflagen, davor schwarze niedrige Tische, an den Wänden Bilder von Neuschwanstein. In einer Ecke hockte ein gemischter Verein ausnahmslos dunkel gekleideter Gäste wie eingerollte Farnwedel über kleinen Büchern und leierte Psalmen herunter. In der gegenüberliegenden lauschte eine andere Gruppe einem englischen Vortrag über die Geschichte Jerusalems. Sehr interessant konnte er nicht sein, denn zwei Mitglieder waren bereits entschlummert. Die einsame Dame neben der Säule beschäftigte sich abwechselnd mit ihrem Strickzeug und der Kekspackung vor sich auf dem Tisch. Unten drunter lag ein fetter Hund unbestimmbarer Rasse, der ebenfalls seinen Anteil bekam. Er bewegte sich nicht von der Stelle, sondern hob nur den Kopf und sperrte die Schnauze auf.
    Beleuchtet wurde das ganze Idyll von weißen Neonröhren, wovon lediglich Heini begeistert war, konnte er doch endlich in aller Ruhe Gruppenfotos machen – auch ohne Blitzlicht, das immer mal wieder seinen Geist aufgab, meistens im Innern von Kirchen.
    Die Herren schleppten Stühle herbei, auf daß wir in trautem Kreise sitzen konnten, die Damen studierten die Getränkekarte und entschieden sich nach längerem Beraten für Karmel-Wein. Irene bestellte Wodka-Lemon, ich Campari orange.
    »Ha noi, Sie drinke ja wohl schon g’nug Woi, gell?« kommentierte Ännchen unser Abweichen von der Norm. »Mir longt ä Glas äm Obend beim Färnsehe. Nur beim Blaue Bock wärren’s als zwei. Wenn die Leit allewil so luschtig senn und mä sieht die Bembel, donn kriagt mä richdig Luscht uf no ä Gläsle.«
    Womit auch das Thema für die nächste Stunde festgelegt war: das Fernsehprogramm. Zehn Minuten lang hielten wir es aus, dann hatten wir genug. Ohnehin hätten weder Irene noch ich den komplizierten Familienverhältnissen der Lindenstraße folgen können.
    Eng umschlungen verließen wir die gastliche Stätte und zogen nach nebenan. Dort war

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