Muss ich denn schon wieder verreisen?
haben heute einen Marathonlauf vor uns!«
Richtig. Erst den Ölberg rauf und wieder runter inklusive Besichtigung einer unbekannten Anzahl von Kirchen, weil die da oben stehen wie Pilze nach einem Sommerregen, sodann Marsch durch die Altstadt, aber nicht zum Vergnügen, sondern wegen der Via Dolorosa.
Zehn Minuten Busfahrt bis Bethanien und hinein in siebenundzwanzig Grad Außentemperatur. Im Schatten! Wenn’s doch wenigstens welchen gegeben hätte!
»Meinst du, es genügt, wenn wir bloß jede dritte Kirche mitnehmen?« fragte Irene, während wir gemächlich aufwärts schritten. »Ich bringe sowieso schon alle durcheinander.«
»Du hast doch gewußt, daß das hier eine christliche Reise ist, also beschwer dich nicht!«
»Tu’ ich ja gar nicht, doch mich begeistert nun mal die Landschaft mehr als diese ganzen sakralen Tempel. Wer kann denn heute noch mit Bestimmtheit sagen, ob ausgerechnet an dieser oder jener Stelle Lazarus von den Toten auferweckt worden oder Christus gen Himmel gefahren ist. Die Kirchen sind doch alle neueren Datums.«
Ihren ketzerischen Anwandlungen verdankten wir denn auch unseren Rausschmiß aus der Himmelfahrts-Kapelle. Mittelpunkt ist ein zentnerschwerer Steinbrocken mit einer Vertiefung, deren Umrisse – mit viel Fantasie und noch mehr gutem Willen! – einer Schuhsohle ähneln. Diesen Abdruck soll Jesus hinterlassen haben, als er in den Himmel aufgefahren ist. Kommentar Irene, bedauerlicherweise etwas zu laut geäußert: »Da müßte er mindestens Schuhgröße siebenundfünfzig gehabt und eine Tonne gewogen haben. Ich kann mir nicht helfen, aber manchmal erscheint mir die Reliquienverehrung doch ein bißchen sehr fragwürdig.«
Woraufhin ihr Elena einen bitterbösen Blick zuwarf und Alberto sich bemüßigt fühlte, uns bis zum Ausgang zu begleiten. Übrigens beweist diese Kapelle, daß sich christlicher und islamischer Glaube durchaus tolerieren können. Obwohl es sich bei diesem Bau um eine Moschee handelt, dürfen Katholiken um die Himmelfahrtszeit dort Gottesdienste feiern. Auch nach islamischem Glauben ist Jesus gen Himmel gefahren – um Mohammed zu sehen!
Alle anderen Kirchen, Kapellen und Grotten haben wir nur noch von außen beguckt und dann ein Plätzchen gesucht, wo wir uns hinsetzen und den immer wieder faszinierenden Blick auf Jerusalem genießen konnten. Oder wir sind ein Stück über den alten jüdischen Friedhof gelaufen, der nur aus Steinen besteht. Kein bißchen Grün ist zu sehen, nur Grabplatten, zum Teil schon verwittert oder zersprungen, und Steine.
Statt Blumen legen die Angehörigen Steine auf das Grab, und spätere Besucher bringen auch einen mit. Mit den Jahren summiert sich das.
Wunderschön ist der Garten Gethsemane. Während die anderen – außer dem Huber-Sepp, der wohl inzwischen auch genug hatte – noch die russisch-orthodoxe Kirche und die Kirche der Nationen besichtigten, bestaunten wir die jahrhundertealten knorrigen Olivenbäume. Erst hier ist es mir gelungen, die Darstellungen in der Bibel mit dem Ort des Geschehens in Einklang zu bringen. Zwar weiß ich nicht, wie alt Olivenbäume werden können (ausnahmsweise hatte auch Irene keine Ahnung), doch die Vorstellung fällt nicht schwer, daß Jesus tatsächlich schon unter diesen Bäumen gebetet hat.
Noch eine Kirche, noch eine Grotte, dann hatten wir es endlich geschafft. Sogar Elena stöhnte und meinte, für die Via Dolorosa täten ihr einfach die Füße zu weh. Auch Frau Conrads verweigerte rundheraus ein weiteres Mitmarschieren. »Ich gehe lieber schlafen.«
Frau Marquardt war sofort einverstanden. Sie trug ohnehin schon einen unsichtbaren Heiligenschein, denn alles, was mit Religion zu tun hatte, fiel in ihren Bereich. Menachem beschränkte sich nur auf architektonische Besonderheiten und Geschichtszahlen.
Er wußte immer ganz genau, wann und wie lange die Kreuzfahrer, die Türken oder sonstige Eindringlinge wo gehaust hatten. Er wußte aber auch, daß das Touristenkamel im Gegensatz zu seinen weniger strapazierten Artgenossen kein hohes Alter erreichen würde. »Das hier ist bestimmt schon das vierte, und so richtig kommt es hinten auch nicht mehr hoch.«
In Berlin kann man sich ebenfalls mit dem Symbol der Stadt fotografieren lassen, nur steckt in seinem Bärenfell meistens jemand vom Studentenhilfswerk. Das Jerusalemer Touristenkamel dagegen ist echt. Neben dem großen Parkplatz, wo die Busse ihre Fracht ausladen beziehungsweise auf die Rückkehr der erschöpften Ölbergwanderer
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