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Muss ich denn schon wieder verreisen?

Muss ich denn schon wieder verreisen?

Titel: Muss ich denn schon wieder verreisen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Auftrieb aus seiner Sicht festhielt.
    Der schwerste und wohl auch erschütterndste Gang stand uns noch bevor, Yad Vashem, die Gedenkstätte des jüdischen Volkes. Sie ist ein Muß für jeden Israel-Reisenden, und das ist auch richtig. Sie darf einfach niemandem erspart bleiben. Trotz aller Kriegsgreuel, die uns jeden Tag das Fernsehen zeigt und gegen die man ungewollt allmählich abstumpft, ist diese Dokumentation menschlicher Grausamkeiten etwas, das man nie vergessen kann und auch nie vergessen sollte.
    Ich habe es nicht geschafft, jeden einzelnen Raum zu durchqueren. Schon nach der Hälfte bin ich wieder ins Freie geflüchtet, habe mich irgendwo an eine Mauer gestellt und geheult. Menachem, der draußen geblieben war, schob mir schweigend eine angezündete Zigarette zwischen die Finger.
    »Wie können Sie überhaupt noch Notiz von mir nehmen?« fauchte ich ihn an. »Sie haben das da drinnen doch auch gesehen und bestimmt nicht nur einmal. Ihre Familie ist im KZ umgekommen, und mit ein bißchen weniger Glück könnten Sie jetzt auch auf einem dieser Fotos zu finden sein, die ein sadistischer Mensch fürs Familienalbum aufgenommen hat. Ich bin Deutsche, ich habe auch Heil Hitler gebrüllt – also warum geben Sie sich noch mit mir ab?«
    Er blieb ganz ruhig. »Was haben Sie denn mit den Nazis zu tun gehabt? Sie sind, wie ich schon in unserem letzten Gespräch sagte, damals ein Kind gewesen. Weshalb sollte ich ausgerechnet Sie für etwas verantwortlich machen, das Sie gar nicht verantworten können? Denken Sie doch nur mal an Ihren Bundeskanzler, der nimmt für sich ja auch die Gnade der späten Geburt in Anspruch.«
    »Darüber ist auch genug gelästert worden.«
    »Und dennoch, selbst einem Herrn Kohl kann man gerechterweise die Schuld am Holocaust nicht in die Schuhe schieben.«
    Langsam beruhigte ich mich wieder. Menachem hatte ja recht. Persönlich fühlte ich mich schuldlos, aber doch nicht so ganz. Eigentlich war es wie damals in der Schulzeit, wenn eine von uns etwas ausgefressen hatte und die ganze Klasse dafür geradestand. Freiwillig.
    Erst jetzt bemerkte ich Irene, die etwas abseits eine Zigarette rauchte und in den Himmel starrte. Ich ging zu ihr hinüber. »Gerade eben habe ich mir überlegt, ob ich Menachem überhaupt noch mal so unbefangen gegenübertreten kann, wie ich es bisher getan habe. Wie schaffst du das denn?«
    »Er ist zu mir gekommen.«
    Menachem war es auch, der später die gedrückte, sehr schweigsam gewordene Gruppe wieder aufmunterte. »Sollte jemand von Ihnen ein unbekanntes oder nicht genau zu diagnostizierendes Leiden haben, dann hätte er jetzt Gelegenheit, sich Gewißheit zu verschaffen. Wir besuchen nämlich die Hadassah-Klinik, das größte Klinikum des Nahen Ostens.
    Kein Bedarf? In Ordnung. Sparen wir uns also den Medizinertempel und gehen gleich in die Synagoge. Sie ist zwar klein, aber trotzdem weltberühmt. Ihre zwölf Glasfenster stammen nämlich von Marc Chagall.«
    Wenn jemand zu Hause vier verschiedene Chagall-Biographien hat, dazu ein rundes Dutzend Bildbände und zwei gerahmte Drucke – eigentlich fehlt in meiner Sammlung nur noch ein Original! –, dann klingt der Name Chagall in dessen Ohren ähnlich verlockend wie bei Briefmarkensammlern die blaue Mauritius. Deshalb weiß ich auch nicht, wie die Synagoge von innen ausschaut und ob die Männer wieder diese kleidsamen Hütchen aufsetzen mußten – ich habe nur die Fenster gesehen. Jedes in einer anderen Grundfarbe gehalten, von Rubinrot über verschiedene Blautöne bis zu einem goldenen Gelb, und dort hineingesetzt Tiere, auch Fische, fließende Objekte und zahlreiche jüdische Symbole – unwahrscheinlich schön.
    Mich störte lediglich ein Führer, der in recht unzulänglichem Deutsch die Bedeutung der einzelnen Fenster zu erläutern versuchte, obwohl doch jeder von uns einen Zettel bekommen hatte, auf dem wir alles hätten nachlesen können. »Hat Herr Chagall gemacht diese grüne Glas für Issachar, welcher getrieben hat Landwirtschaft.«
    Beinahe wäre die Gruppe ohne mich weitergezogen. Hätte Irene mich nicht vermißt und schließlich mit Gewalt aus der Synagoge gezerrt, wäre ich vermutlich noch lange sitzen geblieben.
    »Nun komm endlich! Ab jetzt haben wir nämlich frei, und mir hängt der Magen in den Kniekehlen.«
    »Heißt das, wir können machen, was wir wollen?«
    »Na klar.«
    »Und diese kostbare Zeit willst du tatsächlich damit verbringen, deine niederen Bedürfnisse zu stillen?«
    »Ja doch. Die

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